"Move and Groove": Schüler und Schülerinnen an Musik heranführen
Fehlender Musikunterricht, zu teure Privatstunden - wer Kindern eine musikalische Ausbildung ermöglichen will, hat es nicht leicht. Ein Kieler Projekt richtet sich an Schulen in strukturell benachteiligten Stadtteilen.
Etwa 30 Schülerinnen und Schüler der Klaus-Groth-Schule stehen im Saal der Kieler Lern- und Experimentierwerkstatt von musiculum - alles Sechstklässler. Und alle sehr müde. Also, Druck auf den Kessel! Tanz-Coach Jakub Schöning versucht alles: "Hoch" von Tim Bendzko darf laut sein.
Wo die einen nun langsam in Wallung kommen, steht Jennifer Röh leicht grinsend an der Saalseite. Sie ist die Klassenlehrerin der 6b. Es gehe für die und auch die 6a neben viel Musik und Rhythmus genauso ums Miteinander, sagt sie. Und schön sei ja auch, die Jugendlichen mal ganz anders zu erleben: "Ich glaube, dass die Gruppe hier zusammenarbeiten muss - weil ein Gesamtkonzept entstehen muss. Es sollen am Ende die Trommler zur Musik trommeln, die Sänger zur Musik singen und die Tänzer dazu tanzen. Von daher müssen sie hier miteinander arbeiten. Und das funktioniert überraschenderweise auch sehr gut."
Tanzcoach Schöning: "Kinder werden mutiger"
In der ersten Pause steht Dozent Schöning durstig vor der Bühne. Schon seit 20 Jahren unterrichtet er Breakdance und Hip-Hop und beobachtet, dass viele Schüler und Schülerinnen gar nicht wüssten, was sie alles können und sie sich viel zu wenig bewegen: "Durch die TikTok-Generation tanzen aber viele zu Hause", ist Schöning überzeugt. Nur im Klassenverband sehe das dann eben anders aus: 'Das ist peinlich', heiße es dann, oder 'hey, ich hab‘ keinen Bock.' "Vor allem bei den Sechst- und Siebtklässlern klickt noch die Pubertät. Durch das Tanzen und auch in diesem Projekt kommen sie enger zusammen, supporten sich - und sind auch mutiger in der Gemeinschaft."
Ziel: Bildungsfernere Kinder an Musik heranführen
Eine Etage tiefer steht Anne Hermans, die Leiterin von musiculum, vor der Tür der Gesangsgruppe: "Kiel Move and Groove" richte sich gerade an sogenannte Brennpunktschulen." Die Kinder kämen oft aus sozial-schwachen Familien, häufig mit Migrationshintergrund. Die liegen auch häufig hier in Kiel in den Brennpunkt-Stadtteilen wie Mettenhof oder Gaarden.
Nun liegt die Klaus-Groth genau dort nicht - vielmehr stadtnah und zentral. Aber auch hier würden sie den fehlenden Musikunterricht und ausbleibenden Umgang mit Musikinstrumenten spüren, sagt Hermans: "Die meisten Kinder bekommen von ihren Elternhäusern nicht den Zugang zur Musik. Und wir haben ja doch noch immer stark in Deutschland dieses Bildungsdefizit: dass bildungsnahe Kinder an die Musik herangeführt werden - und bildungsfernere eben nicht."
Genau dieses Defizit würden sie mit ihrem Projekt ausgleichen und die Lücke schließen wollen: "Oft wird Musikmachen mit Geld verbunden: Also, dass man Instrumente haben muss, dass man Musikschulunterricht bezahlen muss; das kostet im Schnitt so 50 bis 100 Euro im Monat. Das können sich solche Familien nicht leisten."
Zu wenig Musikunterricht in der Schule
Im Raum versuchen sich dann gut zehn Stimmen an Tim Bendzkos "Hoch". Das klingt am Tag eins noch ein bisschen verhalten. Jennifer aus der 6b ist trotzdem zufrieden: "Ich sing‘ gar nicht, eigentlich. Also, ich singe halt einfach den Text. Und ich hoffe, es klingt immer gut." Aber hier mache es einfach mehr Spaß als der Unterricht in der Schule.
Jennifers Sing-Gruppe wird von Nina Berger gecoacht, einem Profi. Sie leitet die Rockschule Russee, eine bekannte Kieler Musikschule: "Vor allem geht es eben darum, dass man sich traut. Und das ist ja auch, was sie durch das Singen in der Gruppe lernen, oder das sie durch das Projekt hier mitbekommen. Dass sie Selbstbewusstsein entwickeln. Dass sie merken: Ich mach‘ selber was, ich kann was gestalten. Also, mit denen komme ich so rasend vorwärts, da muss ich immer viele Songs dabeihaben."
Auch Nina Berger hört von ihren Schützlingen immer wieder von fehlendem Musikunterricht. "Ja, das ist wirklich krass, weil Fächer wie Musik und auch Kunst eben Kindern die Möglichkeit geben, auch in der Schule Dinge zu machen, die Spaß bringen. Die Frage ist: Wie kann man das ändern?" Mehr Musiklehrer und -lehrerinnen in Schleswig-Holstein wären vielleicht ein Anfang, sagt sie.