Bedient George Gershwins "Porgy and Bess" rassistische Stereotype?
Im Rahmen des Musikfest Hamburg gab es am Freitagabend eine konzertante Aufführung von George Gershwins "Porgy and Bess" in der Elbphilharmonie. Das Stück wird seit jeher kontrovers diskutiert.
1935 erlebt George Gershwins "Porgy and Bess" seine Uraufführung in New York. Ein historischer Moment, nicht nur musikalisch. Erstmals in der Geschichte sind die Hauptrollen einer Oper ausschließlich mit afroamerikanischen Sängerinnen und Sängern besetzt. Zu einer Zeit, als schwarze Interpreten in den USA noch gar nicht auf die Opernbühne dürfen. Deshalb findet die Premiere auch am Broadway statt.
"Porgy and Bess" - schon immer kontrovers diskutiert
Dass im Stück überhaupt schwarze Solistinnen und Solisten auftreten, Elemente aus der schwarzen Musik in der Gattung Oper vorkommen, gilt in Teilen der afroamerikanischen Kultur-Community als großer Fortschritt. "Gershwin hat Sachen geschrieben, die richtig klangen, wie von unseren Leuten", sagte etwa die Dirigentin Eva Jessye, die den Chor bei der Uraufführung einstudiert hat. Doch es gibt auch damals schon Ablehnung. Besonders harsch beim US-amerikanischen Komponisten und Kritiker Virgil Thomson: "Hier hat jemand, der es niemals hätte versuchen dürfen, über ein Thema, das niemals hätte gewählt werden dürfen, und mit Hilfe eines Librettos, das niemals hätte akzeptiert werden dürfen, ein Werk komponiert, dem man eine gewisse Kraft und Bedeutung nicht abstreiten kann."
Kritik an der Darstellung von Schwarzen
Während des Black-Power-Movement in den 1960er-Jahren nehmen die skeptischen Stimmen zu. Der Sozialkritiker Harold Cruse schreibt, Gershwins Oper sei "mit Sicherheit das widersprüchlichste Symbol, das jemals in der westlichen Welt geschaffen wurde."
Die Kritik wendet sich vor allem gegen die Darstellung der Schwarzen - geprägt von Armut, Spielsucht, Gewalt und Drogensucht. Damit bestärkt die Oper rassistische Denkmuster. Und sie stammt von weißen Autoren, die den Anschein von Authentizität erwecken, etwa indem sie den Figuren einen vermeintlich typischen schwarzen Akzent in den Mund legen. Ein klassischer Fall von kultureller Aneignung, würden manche heute sagen. Die spiegelt sich auch in der Musik. "Summertime", der größte Hit der Oper, schlägt einen jazzigen Ton an, ist aber von einem europäischen Schlaflied aus der Ukraine inspiriert.
Widersprüchliche Haltungen
Wie soll man heute mit der Oper umgehen? Ist Gershwins Stilmix genial oder übergriffig? Dazu gibt es wohl keine einfache Antwort, sondern nur widersprüchliche Ansichten und Haltungen. Manchmal auch bei ein und derselben Person. Der kürzlich verstorbene Harry Belafonte hat es zum Beispiel wegen der rassistischen Stereotype abgelehnt, die Hauptrolle in einer Verfilmung von Porgy and Bess zu übernehmen. Einige Songs aus der Oper hat er trotzdem für Schallplatte aufgenommen.
Die schwarze Sängerin Audra McDonald - preisgekrönte Darstellerin der Bess - hat Gershwin vor zehn Jahren in einem Interview verteidigt. "Er hatte die besten Absichten, als er die Oper geschrieben hat", so McDonald. "Er wollte in eine Gemeinschaft hineinschauen und deren Wünsche, Hoffnungen, Träume und Ängste zeigen."
Stück muss kritisch eingeordnet werden
Gershwin hat damals festgelegt, dass die schwarzen Hauptrollen in Porgy and Bess nur von Schwarzen übernommen werden dürfen. Auch das wird mittlerweile heiß diskutiert und auch nicht immer eingehalten. Aufführen, ja, aber dabei kritisch Einordnen: das ist wohl der beste Weg mit dem Stück umzugehen. Auch für Alan Gilbert, Chef des NDR Elbphilharmonie Orchesters. "Das Stück sollte in seinem angekratzten Ruhm akzeptiert werden", sagt der Dirigent. "Am Ende des Tages ist Porgy ein mitfühlender Charakter, er hat etwas Nobles. Er ist fehlgeleitet, aber er ist am Ende eine Art Held - und das ist es, was haften bleibt."