Historische Schätze und Neuentdeckungen: 50 Jahre audite
Die audite Musikproduktion gehört zu den sogenannten Independent Labels - anders als etwa Major Labels wie Universal oder Sony. In diesem Jahr feiert audite seinen 50. Geburtstag. Was macht das Label besonders?
1973 wurde das Unternehmen in Stuttgart gegründet; heute umfasst der Katalog etwa 300 Titel - und jeden Monat kommen ein oder zwei Neuveröffentlichungen hinzu. Sich 50 Jahre an einem relativ volatilen Markt zu behaupten, das ist eine schwierige Aufgabe. Im Gespräch mit NDR Kultur verrät der Labelchef Ludger Böckenhoff worauf er bei Aufnahmen besonderen Wert legt, wie Künstlerinnen und Künstler und das Label zusammenkommen und inwiefern Musikinteressierte heutzutage noch CDs nutzen.
Herr Böckenhoff, wie hat audite sich positioniert in diesem Markt?
Ludger Böckenhoff: audite ist ursprünglich aus einer ganz kleinen lokalen, Chorproduktionen herstellenden Aufnahme-Klitsche entstanden und hat irgendwann den Sprung geschafft - durch persönliche Verbindungen zum Bruder des BR-Dirigenten Rafael Kubelik. So kamen die ersten BR-Produktionen mit Mahler-Sinfonien ins Verlagsprogramm, und daraus wurde quasi der erste komplette Mahler-Zyklus: Liveaufnahmen aus den 70er-Jahren, die es auf audite immer noch gibt. Das zieht sich durch, weil ich dann entschieden habe, dass diese historischen Aufnahmeschätze aus den Rundfunkarchiven gehoben werden müssen. Und dann gibt es viele, viele Neuproduktionen, die interpretatorisch einfach so hoch stehen, dass sie international gehört werden wollen.
Nun ist die CD schon x-mal totgesagt worden …
Böckenhoff: Selbstverständlich wissen wir, dass die CD langsam stirbt. Aber es gibt immer noch viele Menschen, die wir nur erreichen, indem wir den physischen Tonträger produzieren, den sie zum Beispiel nach dem Konzert mit nach Hause nehmen können. Gleichzeitig gibt es einen Boom der Schallplatten, also Vinyl-Produktionen, die machen wir ja auch. Parallel dazu gibt es diesen so ganz anderen Streaming-Markt, den wir ebenfalls schon seit vielen Jahren intensiv befeuern.
Wäre es zu einfach zu sagen, die alten Leute, die an den historischen Aufnahmen interessiert sind, kaufen CDs oder Schallplatten, und die jungen modernen wollen gestreamte Musik hören?
So einfach ist es tatsächlich nicht. Wir haben viele relativ junge Menschen - im besten Fall 30-Jährige oder 35-Jährige, die ihren Weg zur Klassik finden oder auch wieder zurückfinden. Aber ich glaube, die Grenze zwischen den Nutzern von Streams wie Spotify und den Menschen, die sich noch einen physischen Tonträger zulegen, ist die Frage, wie tief jemand einsteigen möchte. Auf den Streams bemühen wir uns, in die Playlists zu kommen, wo möglichst mit wenig Aufwand Klassik im Hintergrund konsumiert werden kann und die Menschen mit Klassik Inhalte verbinden, die wir so gar nicht gemeint haben. Trotzdem ist es für uns wichtig, denn ein Label wie audite lebt aktuell von diesen Streams. Und dafür produzieren wir am Ende auch. Aber das Repertoire des Labels audite darf und wird sich definitiv niemals allein an den Streaming-Anforderungen ausrichten, denn dann würden wir ganz schnell verflachen.
Wie kommt denn der Künstler oder die Künstlerin zu audite oder andersherum audite zu den Musikern?
Häufig kommen Künstler zu uns; sie sehen, dass Inhalte, die wir produzieren, wirklich weltweit wahrgenommen werden. Und das ist sehr wichtig für Künstler, denn sie wollen ihre Musik auch einem möglichst großen Publikum vorstellen. Es kann nicht so sein, dass das Label beim Künstler anklopft und ihm Repertoire vorschlägt, was er vielleicht gar nicht machen möchte und aus finanziellen Gründen macht. Es ist andersrum: Der Künstler schlägt zum Beispiel ein Repertoire vor, und ich muss dann in vielen Fällen erst mal schauen, was ist das denn für ein Mensch oder Ensemble, was für eine Art von Musikmachen steht dahinter, wie hoch ist die technische und wie hoch die künstlerische Qualität? Dann schaue ich auf unsere Möglichkeiten und auf das, was mit so einem Repertoire dann möglicherweise in der Veröffentlichung passiert.
Wenn man sich ein Repertoire leistet, das anspruchsvoll ist und bei den Menschen da draußen wahrscheinlich eine gewisse Konzentrationsleistung voraussetzt, dann bedeutet das höhere Kosten bei niedrigeren Einnahmen. Und in vielen Fällen muss es dann Parallelstrukturen, Sponsoren, Institutionen geben, die sich für das Projekt zusätzlich noch interessieren. Sonst lässt es sich nicht finanzieren. Außerdem gibt es noch den anderen Weg der intensiven Kooperationen - zum Beispiel zwischen uns und dem Lucerne Festival. Dabei leiten gegenseitige Interessen die Veröffentlichungen.
Welche Rolle spielen denn bei dem Erfolg eines physischen CD-Albums die Verpackung, die Gestaltung, das Booklet?
Das, denke ich, spielt bei uns noch eine größere Rolle als bei den Major Companies. Die Wahrnehmung, auch im Feuilleton, wird mit dadurch beeinflusst, wie sich ein Künstler optisch darstellt, also auch, wie seine Coverfotos sind. Das ist nach wie vor wichtig und leider ein Thema, das häufig von Anfang an unterbewertet ist. Man müsste vielmehr auch auf Künstlerseite verstehen, dass die Darstellung der eigenen Person und des eigenen "Klischees" auch auf der optischen Ebene superwichtig ist.
Essenziell wichtig ist ja vor allem die Klangqualität. Was liegt Ihnen da besonders am Herzen?
Auf der historischen Schiene liegt uns vor allen Dingen am Herzen, dass wir nur dann veröffentlichen, wenn wir auf das originale Master zurückgreifen können. Also nicht auf die analoge Kopie einer analogen Kopie einer analogen Kopie. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nicht, denn ganz viele Callas- und sonstige Remakes werden produziert aus den Kopien von Kopien von Kopien. Und entsprechend schlimm sind dann häufig die Qualitäten.
Bei den Neuproduktion tue ich mich sehr schwer mit einer einfachen Aussage über Klangziele, weil diese immer zusammenhängen mit der Musik, die aufzunehmen ist. Wie distant, wie präsent will man ein impressionistisches Klavierwerk eigentlich haben? Schon diese Frage zeigt, es ist immer eine künstlerische Implikation in der Aufnahme, weil durch die Umsetzung in eine aufgenommene Datenstruktur eine künstlerische Wertung stattfindet. Und man muss die bestmögliche Kopplung aus Interpret, Ensemble und Aufnahmeleiter in dem bestmöglichen zum Musikwerk passenden Raum hinbekommen. Ich kann Ihnen leider nicht einzelne Mikrofon-Typen nennen und will das auch nicht, denn daran hängt es eben nicht.
Mögen Sie noch ein paar von Ihren großen Linien vorstellen? Wenn man sich Ihren Katalog anschaut, dann werden zum Beispiel bestimmte Serien aufgezeigt.
Da gibt es die historische und die Neuproduktion. In den Neuproduktionen ist es ein Fokus, nicht nur einzelne CDs zu machen, sondern einen Interpreten oder ein Ensemble langfristig aufzubauen und von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Das andere sind große und lange Projekte, die an sich schon eine Relevanz haben. Jetzt zum Beispiel starten wir mit Alfredo Perl, dem argentinischen Pianisten, und Beethovens komplettem Klavierwerk, das sind am Ende, ich glaube, 15 CDs. Und dann gibt es noch die Entdeckungen. Ganz aktuell Gregor Josef Werner, der Vorläufer von Haydn am Hof des Fürsten von Esterházy, mit Messen und Motetten. So geht es weiter. Es gibt nach wie vor wunderbares Repertoire, was bisher nicht bekannt ist und es verdient beleuchtet zu werden.
Das Gespräch führte Christiane Irrgang.