Schloss Reinbek: Namentücher erinnern an Widerstand in NS-Zeit

Stand: 12.02.2024 13:44 Uhr

Eine besondere Ausstellung im Reinbeker Schloss ehrt Menschen, die sich in Nazi-Deutschland gegen das Regime gestemmt haben und sich ihr eigenständiges Denken nicht haben nehmen lassen - vor allem nicht ihr Mitgefühl mit den Verfolgten.

von Corinna Below

Ein großer Dachboden, der sogenannte Krummspanner. Ganz oben im Reinbeker Schloss hängen Stoffbahnen, einmal rund um den Raum. Darauf Bilder aus Stoff. Gestaltet von Jugendlichen. Zum Beispiel eine Faust, die ein Hakenkreuz zertrümmert oder ein Dachboden, auf dem sich Menschen verstecken, eine Landkarte, die einen Fluchtweg nachzeichnet. Auf jedem Tuch ein Name, meist gestickt. Es sind die Namen von Menschen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 den Verfolgten des NS-Staates geholfen haben.

Der Ur-Großvater als persönlicher Held

Das Namentuch von Adolf Arndt. © Screenshot
Das Namentuch vom Juristen Adolf Arndt.

Eine Stoffbahn müssen sie noch aufhängen - an eine Metallstange. Kiana Scherm hat ihren Helden, für den sie mit anderen das Namentuch gemacht hat, nicht persönlich kennengelernt. Zwischen ihrem und seinem Abitur liegen 100 Jahre. Ihr Held, das ist ihr Ur-Großvater Adolf Arndt. "Mein Ur-Großvater arbeitete als Richter am Landgericht III in Berlin", erzählt sie.

Von Nazis gezwungen, das Richteramt niederzulegen

Kiana Scherm vertritt die jungen Künstlerinnen und Künstler, die die Bilder, die Namentücher, gemacht haben und spricht auf der Eröffnung der Ausstellung im Reinbeker Schloss. Weil Adolf Arndt als Richter vor 1933 SA-Männer für Gewalttaten gegen Juden verurteilt hatte und als Halbjude galt, wurde er von den Nationalsozialisten gezwungen, sein Amt niederzulegen. Kiana Scherm erzählt, dass er fortan als Anwalt arbeitete: "Er unterstützte und beriet Künstler, deren Kunst unter den Nazis als entartet eingestuft wurde."

"Ich finde das einfach unfassbar mutig und stark"

Adolf Arndt versteckte ihre Werke und verhalf einigen zur Flucht ins Exil. Das zeigt Kiana Scherms Namentuch: Rechts sind schützende Hände zu sehen, zwischen ihnen ein Pinsel, eine Farbpallette und eine Staffelei, links daneben ein Flugzeug und eine Weltkugel. "Die Gefahr, in die sich mein Urgroßvater sich damals gebracht hat, weil er Künstlerinnen und Künstlern geholfen hat, war für mich schwer vorstellbar. Ich finde das einfach unfassbar mutig und stark."

Dankesbriefe von Ernst Barlach und Oskar Kokoschka

Es ist sieben Jahre her, dass sie sich mit der Geschichte ihres Ur-Großvaters für das Projekt Namentuch-Denkmal befasste. Ihre Mutter unterstützte sie mit ihren Erinnerungen. Es gab Bücher und Dokumente. Dankesbriefe zum Beispiel von Ernst Barlach und Oskar Kokoschka. "Es berührt mich sehr, dass die Geschichte dadurch wieder zum Leben erweckt wird und sie weiter in die Generationen getragen wird", sagt Nicole Arndt-Scherm, Kianas Mutter.

Namentuch-Projekt: 200 Schüler haben schon mitgemacht

Annette Hülsmeyer betreut das Namentuch-Projekt. © Screenshot
Annette Hülsmeyer hat das Namentuch-Projekt vor zehn Jahren gestartet.

Annette Hülsmeyer hat das Langzeitprojekt vor zehn Jahren gestartet. Seitdem haben 200 Schülerinnen und Schüler aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Polen mitgemacht. Auch Kiana hat sie beim künstlerischen Prozess betreut. 40 Namentücher gibt es, 25 sind hier im Schloss Reinbek jetzt zu sehen. "Es erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und sehr viel Gestaltungswillen“, sagt Annette Hülsmeyer. "Und man muss sich ganz intensiv mit diesem Menschen befassen."

Besondere Erfahrung

Für Kiana Scherm war das Projekt eine ganz besondere Erfahrung. "Ich finde es total schön, dass wir jetzt das Tuch haben, weil dadurch irgendwie an diese Heldentaten erinnert wird", sagt sie. Ihr Ur-Großvater beschäftigt Kiana Scherm bis heute. Im vergangenen Herbst hat die 21-Jährige in Kiel ihr Studium begonnen. Jura. Sie will Richterin oder Anwältin werden, genau wie er.

Weitere Informationen
SA-Männer kleben ein Plakat mit der Aufschrift 'Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden' an die Schaufensterscheibe eines jüdischen Geschäfts. © picture-alliance / akg-images

Die NS-Zeit: Krieg und Terror

1933 wird der Nationalsozialist Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Fortan setzt das NS-Regime seinen absoluten Führungsanspruch durch - mithilfe von Terror und Propaganda. mehr

Deutsche Truppen besetzen im September 1939 die polnische Stadt Posen. © picture-alliance / akg-images

Der Zweite Weltkrieg

Mit dem deutschen Überfall auf Polen beginnt am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Weltweit kostet er mehr als 50 Millionen Menschen das Leben. mehr

Wehrmachtssoldaten ergeben sich 1945 und halten weiße Tücher hoch. © picture alliance/akg-images Foto: akg-images

Wie der Zweite Weltkrieg im Norden endete

Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Wehrmacht. Viele Städte und Lager sind von den Alliierten da bereits befreit worden. mehr

Schloss Reinbek: Namentücher erinnern an Widerstand in NS-Zeit

Eine Ausstellung im Reinbeker Schloss ehrt Menschen, die sich in Nazi-Deutschland gegen das Regime gestemmt haben - mit einem für sie gestalteten Namentuch.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Schloss Reinbek
Schloßstraße 5
21465  Reinbek
E-Mail:
tickets[at]reinbek.de
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Sonntag: 10 - 17 Uhr
Hinweis:
Für Schulklassen werden Führungen durch die Ausstellung angeboten. Anmeldungen unter: kulturwerkstadt-reinbek[at]web.de
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 11.02.2024 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

NS-Zeit

Ausstellungen

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr