"Kinderkurheime in St. Peter-Ording": Ausstellung über Orte der Gewalt
Die Ausstellung "Kinderkurheime in St. Peter-Ording" im Museum Landschaft Eiderstedt zeigt bis zum 23. Dezember die Schicksale von Kindern, die von den 50er- bis in die 90er-Jahre in St. Peter Ording ein System von Gewalt erlebten.
Für Millionen Kinder sollten sie Erholung bringen, doch oft wurden die Kinderkurheime zum Ort von Schrecken und Misshandlung. Auch in den Kinderkurheimen von St. Peter-Ording war das so. In dem für Schleswig-Holstein so wichtigen Urlaubsort, mit heute 17.000 Gästebetten und 2,5 Millionen Übernachtungen, ereigneten sich zwischen den 50er- und 90er-Jahren gruselige Geschichten.
Kinder aus der gesamten Bundesrepublik kamen wegen Unterernährung oder Atemproblemen dorthin - und viele erlebten ein System mit Gewalt und körperlicher Züchtigung. Eine Ausstellung im Heimatmuseum von St. Peter-Ording geht dem nach.
Museum in St. Peter Ording zeigt Zeitdokumente über Kinderverschickung
Man wird nicht geschont - das wird schnell klar, wenn man den kleinen Ausstellungsraum im Museum Landschaft Eiderstedt betritt. Er ist voll mit Infos und Zeitdokumenten. Im Jahr 2022 gab es eine Studie der Kieler Universität zu den sogenannten Verschickungsheimen in St. Peter-Ording, die Wellen schlug und betroffen machte. Der Historiker Helge-Fabien Hertz hatte sie mit einem Kollegen und Studierenden erarbeitet. Mit der Ausstellung legen sie jetzt nach.
Ausstellungsmacher wollen emotionalen Zugang vermeiden
"Wir haben aus zwei Gründen relativ wenige Bilder", erzählt Hertz. "Zum einen, weil wir das Thema sachbetont darstellen wollen, nicht über einen emotionalen Zugang, sondern wissenschaftsbasiert. Der zweite Grund ist ein pragmatischer: Man kommt aus der Zeit nicht einfach an Bildmaterial heran und muss dann an die Urheberrechtsfrage denken."
Emotional wird es trotzdem: an den interaktiven Stationen, an denen man sich die Erzählungen von Betroffenen anhören kann. Da ist zum Beispiel die 1962 geborene Marion Ortwein, die 1967 für sechs Wochen im Kinderkurheim "Haus in der Sonne" in St. Peter-Ording war. In einer Sequenz erzählt sie: "Ich habe schöne und nicht so schöne Erinnerungen. Mein Vater hat mir erzählt, dass ich sehr verstört nach Hause gekommen bin."
Kinderkurheime: Orte der Erholung oder der Gewalt?
Waren die Kinderkurheime in St. Peter-Ording Orte der Erholung oder der Gewalt? Durch die Recherche, auch der Kieler Studierenden aus der Soziologie und der Geschichte, die immer zu zweit Interviews mit den Betroffenen führten, wurden vier Jahrzehnte Kinderverschickung beleuchtet.
Mehr als zehn Millionen Kinder waren betroffen
"Von diesen Verschickungen waren über zehn Millionen Kinder betroffen", sagt Hertz. "Sie wurden nach 1945 verschickt, damit sich ihre Gesundheit verbessert. Die meisten sollten zunehmen, einige aber auch abnehmen. Andere hatten vielleicht Probleme mit Asthma oder Hautekzemen und sind deshalb auf Kur geschickt worden." Sie kamen auf ärztliche Empfehlung, so Hertz, von den Krankenkassen organisiert und reisten mit der Deutschen Bahn an.
Manches, was für uns heute gewaltvoll ist, folgte damaligen Standards, erklärt der Historiker. Doch Vieles auch nicht. Dazu gehörte Erbrochenes aufessen, das Auflecken von Urin bei Toilettenverbot, das Abspritzen mit Kaltwasser. So widmet sich in der Ausstellung ein Kapitel der so genannten Schwarzen Pädagogik. "Der Begriff 'Schwarze Pädagogik ist sehr weit gefasst. Man kann dort sehr viel reinprojizieren und hat es auch schon getan", so Hertz.
Einstiger SS-Mann betrieb das Heim "Seeschloss" als Kinderkurheim
Die Austellung belegt, wer damals die Heime betrieben hat. Helge-Fabien Hertz zeigt die Tafel zu Hugo Kraas, SS-Mann der ersten Stunde, 1949 entnazifiziert als Mitläufer. Er war ab 1969 Privatbetreiber und Heimleiter im "Seeschloss", was die Weiterführung bestimmter Gedanken zumindest nahelegt. Da wollen sie noch genauer draufgucken, sagt der Historiker.
Die Idee zur Ausstellung kam von der "Initiative Verschickungskinder e.V." aus St. Peter Ording um Claudia Johannson. Sie war selbst eins der Kinder, mit sieben Jahren, in einem sehr kleinen Heim. "An den Essenszwang kann ich mich erinnern. Auch daran, dass die Briefe zensiert wurden. Ich konnte gerade schreiben. Da kam eine so genannte 'Tante" und meinte, 'ja, aber so schlimm ist das doch gar nicht'. Der Brief ist dann auch nie zu Hause angekommen."
Peter Arndt hat für die Aufarbeitung in der Gemeinde St. Peter Ording eine wichtige Rolle gespielt. "Viele, die hier in der Gemeinde geboren und aufgewachsen sind, waren über die Vorwürfe sehr überrascht. Man sieht, dass die Diskussion pendelt zwischen Betroffenheit, gleichzeitig aber auch Entlastung. Im Sinne von 'Ach, es waren doch nur Einzelfälle'."
Dass das eben nicht so war, bei immerhin bis zu 50 Heimen allein in St. Peter-Ording, zeigt diese neue sehr informative Ausstellung. Auch das gehört zu unserer Heimatgeschichte.
Die Ausstellung "Kinderkurheime in St. Peter-Ording" im Museum Landschaft Eiderstedt läuft bis zum 23. Dezember. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr von April bis Oktober. Im November und Dezember zwischen 11 Uhr und 18 Uhr.