Der Kittel: Mehr als reine Arbeitskleidung
Können Sie sich noch an die Kittelschürze erinnern - vielleicht von damals, bei der Mutter oder der Großmutter, wo sie DAS Trendkleidungsstück war und jeden Tag getragen wurde? In Lübeck gibt es eine Ausstellung dazu.
Dezent geblümt, klassisch uni, griffiger Baumwollstoff, pflegeleicht - so sehen die Kittelschürzen aus, die Stefanie Reis gesammelt hat. Jetzt hängen sie auf Staffeleien in den Schaufenstern des verwaisten Karstadthauses in der Lübecker Innenstadt. Die Ausstellung hat sie gemeinsam mit Modistin und Upcycling-Expertin Simone Graber konzipiert und organisiert. Passantinnen und Passanten bleiben stehen und müssen schmunzeln, freut sich die Kuratorin.
"Zwei ältere Damen, die definitiv Generation Kittelschürze sind, haben mir zugewunken und haben gelacht. Also solche Reaktionen gab es schon. Außerdem habe ich ja die Internetseite 'diekittel.de' aufgebaut, da schreiben mir Menschen, die nicht aus Lübeck kommen."
Zum Beispiel eine Frau aus der Region Rheinhessen, wie sich Stefanie Reis erinnert: "Ich schicke Ihnen die Kittelschürzen meiner Mutter. Ich selbst war 1968 in Lübeck, als ich rheinhessische Weinprinzessin war. Und ich war in einem großen Kaufhaus, ich weiß nicht mehr, wie es hieß und da war eine Weinverkostung. Solche Schätze."
Trägermedium der Erinnerungen
Damit kommt die praktische Arbeitskleidung in Lübecks größtes ehemalige Haushaltswarengeschäft. Das einstige Kaufhaus wird zur Bühne für Kittelschürzen. Und es stellt sich heraus, dass die bunten Schmuckstücke mehr sind, als reine Arbeitskleidung: "Die Kittelschürzen sind so etwas wie ein Trägermedium für Erinnerungen, da hängen so viele Geschichten dran", erklärt Reis: "Ich habe angefangen, damit zu spielen. Mit Partys und Erzählformaten, salonartig im kleinen Kreis. Dabei ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden. Es ist jetzt der erste öffentliche Auftritt der Kittelschürzen, über den sie sich sehr freuen."
Mehr als 60 Exemplare
Über 60 unterschiedlichste Exemplare hat sie schon zusammenbekommen, vor allem aus Süddeutschland. Meist bunt und gemustert. Jetzt stellt sich die Kulturwissenschaftlerin die Frage, wie sehen die norddeutschen Kittelschürzen aus? "Mir schwebt noch vor, so eine Kittelschürzenatlas-Grafik zu machen mit Kittelwanderungen und einer Kitteldichte. Ich habe das statistisch noch nicht final ausgewertet, die Recherchen laufen erst an. Meine Vermutung ist, dass Kittel in Süddeutschland mehr verbreitet sind als in Norddeutschland. Dennoch wurde mir gesagt, dass auch in Lübeck Menschen im Kittel teilweise auch immer noch die Straße kehren und es Kittel auch hier noch gibt."
"Trauerkittel" als Sommerkleid
Die Idee zu dieser außergewöhnlichen Sammlung kam der gebürtigen Rheinland-Pfälzerin ein Jahr nach dem Tod ihrer Großmutter. "Ich trage heute Kittel 0. Vor über 20 Jahren, als meine Oma noch gelebt hat, hat der Kittel mich total angesprochen und ich habe ihn meiner Oma abgequatscht. Die hat noch gesagt, das sei aber ein Trauerkittel. Ich fand den aber so toll. In dieser Kittelschürze, die ich als Sommerkleid getragen habe, habe ich den Vater meines Kindes kennengelernt. Das ist lange her."
Dunkelblau ist dieser Kittel. Mit einem weißen Muster und weißer Knopfleiste. Er passt der 44-Jährigen heute noch. Neben diesem Trauerkittel gibt es aber auch noch eine Sonntagsschürze, die Alltagsschürze, eine Hofschürze, die Gartenschürze, die alte Schürze, oder auch die klassische Küchenschürze. In einer Modenschau will Reis ihre Schmuckstücke präsentieren und hat noch mehr Ideen.
In Planung: Buch und Filmabend mit Modenschau
"Ich werde zum Beispiel auch ein Buch machen mit Kittelfotos, einen Filmabend mit Modenschau in Hamburg im Lichtmess Kino. Es ist ein endloses Thema, weil es so persönlich ist und sich weiterverbreitet. Dieser Anstoß, dieser Impuls der Kittelschürzen, der einen automatisch in die eigene Erinnerung und Biografie stupst - das, was da an unvorhergesehener Bewegung passiert, das fasziniert mich", sagt Reis.
Ausstellung läuft noch bis 8. Mai
Die Ausstellung ist bis zum 8. Mai im ehemaligen Karstadt-Gebäude in der Breiten Straße und am Schrangen in Lübeck zu sehen. Und wenn Sie noch Kittelschürzen zu Hause haben, freut sich Stefanie Reis über die Schmuckstücke. Alle Modelle werden am 30. April bei einer Modenschau in Lübeck vor dem ehemaligen Karstadt-Haus A präsentiert, zusammen mit Modedesignerin, Upcycling-Expertin und Ko-Kreateurin Simone Graber und Musiker Tilo Strauß.