Inklusive Mode: Besuch bei Anna Chevalier in Hannover
Was tun, wenn einem ein Kleidungsstück gefällt, man es aber wegen einer Behinderung nur mit Spezialanpassung tragen könnte? Umnähen oder gleich selbst etwas nähen - diese Idee hatte die Modemacherin Anna Chevalier aus Hannover.
Includein.Design heißt das Startup von Anna Chevalier, hier bietet sie Nähkurse und Schnittmuster an - für Menschen mit und ohne Behinderung. "Das ist ein Schnittmuster für eine Hose, die ich gerade entwerfe", erklärt sie. "Das ist eine Paperback-Hose, das heißt, die bauscht sich ein bisschen vorne auf. Das ist gerade modern."
Anna Chevalier hat einen Raum in einem Co-Working-Space gemietet und ihren Laptop aufgeklappt. Auf dem Bildschirm ist ein Schnittmuster-Bogen zu sehen: Konturen von Hosenbeinen, Taschen und Stoffbereichen für den Hosenbund. Mit dem Mauszeiger lassen sich die Linien verschieben. Die 33-Jährige markiert eine Gerade, die eine Hosenfalte darstellt und verändert ihre Position. "Hinten würde ich der Hose ein bisschen mehr Platz geben, damit man in der Taille Raum hat, wenn man sich hinsetzt", sagt sie "Und ich würde sie auch etwas höher schneiden. Das heißt, vorne etwas kürzer, hinten etwas höher. Das hilft auch, damit beim Sitzen nicht der Rücken freiliegt - und vorne soll der Bauch nicht eingequetscht werden durch diesen hohen Bund."
Auf Wünsche wird individuell eingegangen
Auf diese Weise entsteht eine Hose, die für Menschen gut geeignet ist, die sich sitzend bewegen. Auch an Hosentaschen, die normalerweise an der Seite platziert sind, ist im Rollstuhl schwer ranzukommen. Sie setzt Anna Chevalier auf die Oberschenkel, versehen mit einem kleinen Reißverschluss. Wichtig ist der Modedesignerin dabei, individuell auf die Wünsche der Kundinnen und Kunden einzugehen. Die Idee zu ihrem Startup kam ihr durch ihren Vater. "Mein Papa hat eine Behinderung und sitzt im Rollstuhl", erzählt sie. "Wir haben immer für ihn irgendwelche Sachen umnähen müssen, weil seine Klamotten eigentlich nie wirklich gepasst haben. Und seine Behinderung hat sich auch im Laufe der Zeit verändert - da will man die ganzen Sachen natürlich auch nicht wegwerfen. Man möchte ja auch weiterhin tragen, was man mag. Es ist auch ziemlich teuer, sich immer wieder Behinderten-Mode kaufen zu müssen."
"Bei der Inklusion ist in der Mode noch viel Luft nach oben"
Dabei sind die Bedürfnisse ganz unterschiedlich. Wer eine Fußprothese hat, braucht weite Hosenbeine, eine kleinwüchsige Frau Strumpfhosen mit durchschnittlicher Taillengröße aber kürzerer Strumpflänge. Und wer blind ist, sollte ertasten können, mit wie viel Grad ein Kleidungsstück gewaschen werden kann. Da ist in der Modeindustrie immer noch viel Luft nach oben, auch, wenn es Fortschritte gibt. "Zum Beispiel hat Zalando mittlerweile eine große, inklusive Kollektion rausgebracht", sagt Anna Chevalier. "Auch neue Modelabels denken häufig Inklusion mit. Es gibt auf jeden Fall ein Umdenken - aber das ist noch die Ausnahme. Beispielsweise im Curriculum der Hochschulen oder auch bei den Labels, bei denen ich gearbeitet habe, war Nachhaltigkeit schon langsam ein Thema, aber Inklusion noch nicht so wirklich."
Magnete statt Knöpfe machen Schluss mit der Pfriemelei
Dabei lässt sich ein Kleidungsstück mit einfachen Mitteln anpassen. Das zeigt Anna Chevalier am Beispiel einer Strickjacke auf einer Schneiderpuppe. Statt kleine Knöpfe durch kleine Öffnungen zu pfriemeln, sorgen Magneten dafür, dass sich das Wollstück unproblematisch auf- und zumachen lässt. Auch großzügige Nahtzugaben sind fürs Umarbeiten von Vorteil. "Früher war es viel häufiger, dass es eine breitere Nahtzugabe gab, sodass man die Kleidungsstücke anpassen konnte", sagt sie. Diesen Spielraum wünsche sie sich von der Modeindustrie.