Documenta 15: Welche Konsequenzen muss die Kulturpolitik ziehen?
Die Antisemitismusvorwürfe gegen die documenta fifteen haben die Kulturdebatte des vergangenen Sommers geprägt. Ein Gespräch mit Meron Mendel, der mit der Aufarbeitung der Vorwürfe beauftragt wurde.
Es war eine so schöne Idee: eine internationale Kunstausstellung, die basisdemokratisch von einem Kollektiv gestaltet wird. Und das nicht Euro- oder US-zentristisch, sondern aus der Perspektive Asiens. Das war das Konzept der documenta fifteen in Kassel. Doch dann tauchten dort Kunstwerke mit antisemitischer Bildsprache auf.
Herr Mendel, wenn Sie an die documenta fifteen zurückdenken, welche Emotion, welches Bild kommt Ihnen in den Sinn?
Meron Mendel: Natürlich denke ich an das Kunstwerk von Taring Padi, "People's Justice", vor allem vor dem Hintergrund, dass ich noch in der Woche davor auf der documenta war und das Bild dort nicht zu sehen war. Umso mehr war mein Erstaunen, als mit der Eröffnung der documenta dieses Kunstwerk mit klareren antisemitischen Motiven zur Schau gestellt wurde. Das hat nicht nur bei mir, sondern bei allen eine große Bestürzung hervorgerufen.
Was ist das - Zorn, Unverständnis?
Mendel: Die erste Frage war, wie das passiert ist. Davor wurde mehrfach beteuert, dass so etwas nicht passieren wird und dass alles geprüft ist. Deswegen war die erste Emotion vor allem Überraschung, Verwunderung, warum das so passiert ist.
Mittlerweile hat es etwas mehr Aufarbeitung gegeben. Können Sie jetzt erklären, wie das passieren konnte?
Mendel: Das kann man zum Teil mit der Struktur der documenta erklären. Ich habe es mal als "organisierte Verwahrlosung" bezeichnet, weil das Konzept der documenta war, dass keine zentrale kuratorische Arbeit geleistet wird, sondern die verschiedene Gruppen das in einem Konzept entwickeln sollten. Jeder konnte darstellen, was man will, und dadurch konnte es einige positive Überraschungen geben, aber auch negative.
Ist das nicht bitter, dass genau dieses Konzept einer dezentralen, kollektivistischen Führung an der Stelle gescheitert ist?
Mendel: Es ist sehr bitter. Vor allem ist es bitter, weil dieses Kunstwerk, aber auch die andere Kunstwerke, die in der Kritik standen, insgesamt nicht mehr als zwei Prozent der gesamten Kunstwerke auf der documenta in Kassel ausgemacht haben. Wir reden also von einem sehr kleinen Anteil an Kunstwerken, die problematisch sind, und sie haben die ganze Kunstausstellung überschattet. Es ist auch bitter, dass eine aus künstlerischer Sicht sehr erfolgreiche Ausstellung in der kollektiven Erinnerung als eine Art von "Antisemita", wie im "Spiegel" getitelt wurde, bleibt.
Welche Konsequenzen muss Kulturpolitik, muss Förderkultur daraus ziehen?
Mendel: Ich sage, welche Erkenntnisse nicht gezogen werden sollten: Es sollte keine ständige politische Kontrolle über die Kunst- und Kulturwelt geben. Kunstfreiheit ist ein hohes Gut in jeder liberalen Demokratie und in Deutschland besonders. Von daher ist es egal, welche Kontrollmechanismen oder welche neuen Strukturen man sich ausdenkt - diese Freiheit darf nicht eingeschränkt werden. Es geht vielmehr um eine Art von Selbstreflexion innerhalb der Kunst- und Kulturwelt, dass man eine Sensibilität entwickelt: Wo läuft Kunst, auch politische Kunst zu einer Art von billiger Propaganda über? Das haben wir bei einer kleinen Zahl der Kunstwerke in Kassel gesehen. Das hätte nicht passieren sollen. Aber dadurch ist nicht die gesamte Kunst- und Kulturwelt in Deutschland durch Antisemitismus oder eine andere Form von Diskriminierung verseucht.
Können Sie einschätzen, wie das Thema in der jüdischen Community in Deutschland diskutiert wurde?
Mendel: In der jüdischen Community wurde das Thema genauso heftig und umstritten diskutiert wie in der Gesamtgesellschaft. Es gab nicht das eine jüdische Urteil über die documenta, sondern es gibt in der jüdischen Community sehr unterschiedliche Stimmen. Der Zentralrat der Juden hat sich sehr deutlich geäußert, es gab aber auch andere Einschätzungen. Ich habe nicht die Einschätzung des Zetralrats unterstützt, sondern hatte meine eigene Meinung, und das ist auch gut so. Wir Juden sind unterschiedlich, und das soll auch in der Öffentlichkeit sichtbar sein.