Abseits der Metropolen: Was Kreative in der Provinz hält
Eine Großstadt bedeutet für viele Kreative Inspiration, Austausch mit Gleichgesinnten und dort zu sein, wo das Leben passiert. Doch die Großstadt hat auch Schattenseiten: Ablenkung, Beliebigkeit, Stress und hohe Lebenshaltungskosten.
Im kleinen Studio des Komponisten und Sounddesigners Ralph Wegner in Braunschweig geht es entspannt zu: Mit Baseball-Mütze und Sweatshirt sitzt der 45-Jährige vor einem extra-breiten Computermonitor. Wegner produziert eingängige, bass- und beat-lastige Tanzhits. Bis vor Kurzem komponierte er exklusiv für den französischen DJ-Superstar David Guetta, den er jahrelang auf seinen Touren durch Stadien und Clubs auf der ganzen Welt begleitete.
Sein Arbeits- und Lebensmittelpunkt aber war und ist stets Braunschweig, betont Wegner: "Ich fühle mich einfach wohl in Braunschweig. Ich habe Familie hier, Freunde hier. Und ich bin gerne in der Natur. Wir sind hier dran am Harz, was wunderschön ist. Ich fahre eine halbe Stunde - dann bin ich in den Bergen. Ich habe tatsächlich mal ein Jahr in Hamburg gewohnt. Es hat Spaß gemacht in der Stadt, aber generell muss ich sagen, habe ich mich dann wieder auf Braunschweig gefreut. Es ist einfach gemütlicher."
Komponist Ralph Wegner: Ortsunabhängig dank Internet
Viel auf Reisen zu sein, ist für Ralph Wegner trotzdem unabdingbar: Der Kontakt zu Sängerinnen, Plattenfirmen und Musikverlagen ist ihm wichtig. Um wirklich im Kontakt und im Geschäft zu bleiben, brauche es das persönliche Gespräch, sagt der Komponist. Aber: Das Internet mache ihn weitgehend ortsunabhängig, so dass es absolut nicht nötig sei, in der Großstadt zu leben und zu arbeiten: "Dann steht dir die Welt offen, egal, wo du bist. Generell kann ich auch mit einem Laptop unterm Arm verreisen, wohin ich will, und aus dem Hotelzimmer arbeiten. Meine erste Veröffentlichung mit David Guetta habe ich auf Lanzarote gemacht, auf dem Balkon."
3D-Designer Jan Herdin: Nicht für die Großstadt gemacht
Berlin, Hamburg, Los Angeles oder London - Ralph Wegner braucht nicht zwangsläufig die Metropole, um glücklich zu sein. Auch Jan Herdin geht das so. Der 29-jährige 3D-Designer stammt aus einem kleinen Dorf im Landkreis Peine in Niedersachsen. Er arbeitet für eine aufstrebende Kommunikationsagentur in Braunschweig.
Direkt nach dem Studium war Herdin allerdings zunächst nach Hamburg gezogen: "Ich habe verschiedene Agenturen ausprobiert und auch einen Großkonzern, aber ich habe gemerkt, dass ich als Dorfkind nicht für die Großstadt gemacht bin und wollte dann wieder zurück. Ich hatte das Glück, wirklich einen sehr herausfordernden Job zu finden. Und ob man mit zwei Millionen Menschen um sich herum irgendwo im Kellerchen sitzt oder hier in Braunschweig mit 260.000 Leuten, war mir egal. Da war mir wichtig, dass die Sache einfach stimmt."
Verheißungen großer Städte überbewertet
Andere junge Kreative zieht es von vornherein erst gar nicht in die Metropolen. Jan Herdins Kollegin Lisa-Marie Scheunemann zum Beispiel: Sie macht Unternehmensfilme und stammt ursprünglich aus einer benachbarten Kleinstadt: "Berlin, Hamburg - für mich persönlich zu viel. Ich habe 25 Jahre in Salzgitter gewohnt und für mich war es schon mega, hierher zu ziehen und hier zu arbeiten." Letztlich sei die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt in den großen Metropolen viel größer als in kleineren Städten, sagt Filmerin Scheunemann.
Zustimmung kommt von ihrem Kollegen Tim Brachert. Der 35-jährige Designer hält die Verheißungen großer Städte für überbewertet: "Wo das Leben ist und kulturelles Angebot - aber letztendlich sitzt man doch die ganze Zeit vor dem Rechner und nutzt das gar nicht, so wie man vielleicht könnte. Ein bisschen das Gefühl habe ich schon durch dieses Remote-Arbeiten, was man heute macht, dass es ein fast egal ist, wo man ist."
Stadtflucht unter jungen Kreativen
Hohe Mieten, viel Konkurrenz, wenig familienfreundliche Infrastruktur, zu lange Wege - was immer die Gründe sind sich gegen die Großstadt zu entscheiden: Offenbar - so beobachtet auch Designer Jan Herdin - gibt es tatsächlich eine Tendenz bei jungen Kreativen, den Metropolen den Rücken zu kehren, und in kleinere Städte oder gar aufs Dorf zu ziehen.
Ein Hoch auf die "Provinz"! Großstadt war einmal. Junge Kreative zieht es nicht mehr unbedingt zwingend in die Metropolen.