Sensationsfund in Gägelow: Chorgestühl stammt aus dem Jahr 1247
Die historische Kirche in Gägelow bei Sternberg in Mecklenburg-Vorpommern sorgt für Aufsehen. Untersuchungen ergaben, dass hier das älteste vollständig erhaltene Chorgestühl Deutschlands steht - aus dem Jahr 1247. Der "Fingerabdruck der Zeit" ist im Holz zu finden.
Die Kirche von Gägelow ist groß, irgendwie zu groß für das kleine Dorf mit nur 50 Leuten. Ein wenig versteckt ragt sie hinter Bäumen hervor. Die Sonne wirft mystische Schatten auf den kunstvoll verzierten Backstein-Giebel. Das Gotteshaus ist zum Teil aus Feldsteinen, zum Teil aus Backsteinen gebaut - ein Archetyp der ersten Generation mecklenburgischer Kirchen, sagen Bauhistoriker.
Überwältigendes Ergebnis
Christian Lehsten vom Förderverein öffnet die Tür zur "Schatzkiste", wie er sagt. Seit 2017 restauriert sein Verein Stück für Stück die Kirche - und nun dieser Sensationsfund: In der Gägelower Kirche steht das älteste Chorgestühl von ganz Deutschland. "Wir wussten, das es alt ist und in den Kunstdenkmalbüchern wurde es auf 1325 geschätzt," erzählt Lehsten. "Dass da nun 1247 bei herauskam, das hat uns schon überwältigt, da ist der Mund offen stehen geblieben."
Seit 1247 - seit Jahrhunderten hat das Chorgestühl seinen Platz neben dem Altar - nun liegt es zu Füßen des Altars und zwar auf dem Boden, abgedeckt mit weißer Plane. Lehsten packt es aus. Die Sitzreihe mit fünf Plätzen zeigt nach unten, nur die Rückwand ist zu sehen und die Sockelbohle, alles aus Eiche, ohne Farbe. Ein Glücksfall! "Sehen Sie hier, die zehn Zentimeter dicke Eichenbohle, die an diesen Stellen noch eine so genannte Waldkante hat. Das habe ich auch erst gelernt, dass es so etwas gibt. Hier wurden von dem Dendrochronologen Bohrproben genommen", erklärt Lehsten.
Dendrochronologe untersucht Eichenbohle
Der Bauhistoriker Tilo Schöfbeck aus Schwerin ist ein Dendrochronologe. Er kann wissenschaftlich das genaue Alter des Holzes bestimmen. Dazu hat er vier Proben aus verschiedenen Teilen des Gestühls genommen. Mit einer kleinen Führung setzt er den Bohrer an der schon erwähnten Waldkante an. "Das ist die Oberfläche des Baumes, an dem die Rinde dran ist", erläutert Schöfbeck. "Uns interessiert der letzte gewachsene Jahrring, das ist total spannend, wir wollen ja das Todesjahr des Baumes wissen, also wann er gefällt wurde."
Toller Geruch nach Gerbsäure
Das Ergebnis: kleine Eichenholzstangen - acht Millimeter dick und so lang wie Mikadostäbchen. Die handwerkliche Arbeit ist für den Holzexperten auch ein sinnliches Erlebnis. "Es riecht vor allem ganz toll", betont Schöfbeck. "Die Stäbe sind durch das Bohren alle erhitzt durch das Raucharoma. Die Hände riechen nach dem Bohren auch immer ganz stark nach dieser Eiche voller Gerbsäure."
Unterstützung hat sich der Schweriner beim weltweit gefragten Spezialisten Karl-Uwe Heußner in Berlin geholt. In dessen Labor wurden unter dem Mikroskop die Jahresringe der Proben ausgemessen und diese Maße dann per Computer mit vorhandenen Mustern verglichen. "Wir haben bereits Muster hergestellt, die gehen teilweise bis zur Eiszeit zurück, die letzten zwölftausend Jahre", sagt Schöfbeck. "Das ist der Fingerabdruck der Zeit."
Sensationsergebnis kein Zufallstreffer
Eine Zahl hat den Bauhistoriker überrascht: 1247. Ursprünglich dachte er, das Gägelower Kirchengestühl sei so gegen 1325 gebaut worden. Schöfbeck konnte das zunächst nicht glauben. "Aber ich wusste, ich musste ihm glauben, es sind vier Proben und nicht nur eine, also kein Zufallstreffer", alle Proben hätten ganz viele Jahresringe. Das sei so, also hätte man die Fingerabdrücke aller Finger eines Täters, wenn man ihn überführen möchte. "Das ist der Hammer, dass ausgerechnet in dieser kleinen Dorfkirche in Gägelow so ein Superlativ zu finden ist!"
Zum Superlativ macht es, dass es vollständig erhalten ist. Im Juni soll die Sitzreihe restauriert werden. Eine Studentin aus Potsdam hat in ihrer Masterarbeit ein umfangreiches Sanierungskonzept entwickelt. Es kostet den Förderverein kaum Geld, weil die Nachwuchs-Restauratorin die Arbeit macht. Lehsten kann immer wieder nur über das Sensationsergebnis staunen. "Es hat sich Jahrhunderte hier erhalten. Das Fantastische ist, es ist über 700 Jahre Krieg in Mecklenburg gewesen und trotzdem ist es nicht zerkloppt oder verbrannt worden, sondern steht hier immer noch."
Regelmäßige Konzerte in Gägelower Kirche
Gottesdienste gibt es hier keine mehr, dafür aber regelmäßig Konzerte. Das nächste ist am 4. Mai. Die Besucherinnen und Besucher können dann das älteste Chorgestühl Deutschlands bestaunen.