Porträts, die unter die Haut gehen - gegen das Vergessen
Als Auftragsmalerin erfüllt Peggy Steike die Wünsche ihrer Kundschaft. Aber oft beschäftigt sie sich auch mit dem Holocaust und porträtiert Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Peggy Steike sitzt in ihrem Atelier am Arbeitstisch, direkt vor dem Fenster. In der linken Hand hält sie die Kopie eines Fotos. Darauf zu sehen: das Porträt einer Frau. Diese trägt die Haare streng zum Dutt. Viel weiß sie nicht von der Frau, die sie da zeichnet. Sie heißt Else Ehekircher. Ende der 1920er-Jahre wurde sie in eine Heilanstalt gesteckt, später vergast. Da war sie 38 Jahre alt.
An ausgelöschte Leben erinnern
Steike will, dass Menschen wie Else Ehekircher nicht vergessen werden. "Diese ausgelöschten Leben sollten unbedingt weiter leben", sagt die 49-Jährige. "Die sind ja wirklich zum Teil so ausgelöscht worden, dass es auch keine Namen mehr gibt. Ich male tatsächlich auch Menschen, von denen ich zwar die Bilder habe, aber keine Namen dazu."
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Seit fast 15 Jahren zeichnet die Künstlerin aus Lübbersdorf bei Friedland (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) mit Bleistift, Kohle oder Rötel Kinder, Frauen und Männer, deren Leben von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurden - weil diese nicht ins System passten. Mehr als 300 Einzelschicksale hat Steike recherchiert und aufgeschrieben. Ein Bild nach dem anderen legt sie auf den Tisch und erinnert sich. "Das hat mich ganz schön getroffen, Theodor K., wegen Schizophrenie in Grafeneck ermordet worden - mit 36. Und im Nachlass an seine Eltern ein Keks, eingeritzt das Wort 'Mörder'", erzählt Steike.
Vorträge in Gedenkstätten und Schulen
"Wenn ich mir vorstelle, ich habe ein Kind, das vielleicht nicht ganz gesund ist, und das wird mir weggenommen. Und wird dann irgendwo umgebracht, dann kriege ich eine Urne mit irgendwelchen fadenscheinigen Aussagen, also, das macht schon was. Und ich glaube, das macht auch über mehrere Generationen was mit den Familien", sagt die Künstlerin und deshalb hält sie Vorträge in Gedenkstätten und Schulen.
Anstaltsleiter beschließt Tötung von 14-Jährigem
Bei einem Vortrag in Ueckermünde hat Steike viele ihrer Bilder mit. Sie stellt ihrem jungen Publikum Fragen. "Kennt ihr Kinder, die schwierig sind, die sich schlecht an Regeln halten? Sich nicht anpassen?", fragt sie. "Das hier war auch so einer. Ernst Lossa. Wie alt schätzt ihr den Jungen?" Auf dem Porträt ist der Junge gerade mal zwölf Jahre alt, sagt Steike. Ernst Lossa sei ein kluges, schwieriges Kind gewesen, das von Heim zu Heim geschoben wurde. Irgendwann habe er entdeckt, dass in der Heilanstalt unheimliche Dinge geschehen. "Er versuchte, das unmenschliche System zu unterwandern. Als er mehrmals in die Vorratskammern der Krankenhausküche eingebrochen war, und an hungernde Patienten Lebensmittel verteilt hatte, bestand der Anstaltsleiter auf seiner Tötung. Er wurde 14 Jahre alt."
Wenn die Malerin Vorträge hält, ist ein Bild immer dabei. Im Hintergrund ist das Torhaus vom Konzentrationslager Auschwitz zu sehen. Davor hat Steike 24 Köpfe gemalt, dazu Kerzen, deren Dochte noch qualmen. Auch wenn die Nazi-Morde schon fast 80 Jahre zurück liegen, sorgt ihr Projekt immer wieder für unerwartete Momente. Einmal meldete sich bei ihr ein Mann aus Schweden, der seinen Vater auf dem Auschwitz-Bild erkannte. "Damit rechnest du nicht. Das ist schon so 'huu'. Okay, wie gehe ich jetzt damit um. Es ist ja doch für die Familie was Emotionales, für mich auch, weil ich es gemacht habe." Seitdem stehen beide in Kontakt. Immer mal wieder bekommt Steike eine E-Mail.
Malen gegen das Vergessen
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In ihrem Atelier steht auf der Staffelei eine Leinwand, auf der fünf Männer in Uniformen und Arztkitteln zu sehen sind. Lange hat sie überlegt, ob sie dieses Bild überhaupt malen will. Inzwischen arbeitet die Künstlerin bereits seit zwei Jahren daran - darauf zu sehen: die Täter. "Einfach. um den Menschen zu sagen, guckt mal: Das sind zwar Menschen, aber die haben total unmenschlich gehandelt", erklärt sie. "Das waren bestimmt auch mal Kinderärzte, die wahnsinnig gern ihren Job gemacht haben, als Kinderarzt. Und trotzdem ist irgendwas passiert in den Köpfen, dass sie der Meinung waren: Sie müssen diesen Wahn mitmachen", betont Steike. Ein Kapitel deutscher Geschichte, das sie nicht loslässt. Und so malt sie weiter gegen das Vergessen an.
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