Aus dem Auge aus dem Sinn? Über den Umgang mit Künstlernachlässen
Ist das Kunst oder kann das weg? Denkt man an Kunstnachlässe, bekommt dieser Spruch einen fatalen Beigeschmack: Kunstwerke, die Künstlerinnen und Künstler hinterlassen, gehen oft den Weg in den Müllcontainer. Aber das muss nicht so bleiben.
Malerei, Grafik, Skulptur, Plastik, Fotografie, Installation: In praktisch allen Bereichen entstehen in Mecklenburg-Vorpommern Tag für Tag neue Kunstwerke. Allein im Künstlerbund Mecklenburg-Vorpommern sind rund 360 Künstlerinnen und Künstler organisiert - und das sind bei Weitem nicht alle professionellen Künstlerinnen und Künstler im Land. Der Kunstmarkt funktioniert auf eher bescheidene Art und Weise. Die Ateliers sind also voll und irgendwann steht die Frage im Raum: Was wird aus den Kunstarbeiten?
Kunstwerke verschenken, wegwerfen oder verbrennen?
Der Parchimer Galerist Eckhard Bergmann kennt dieses Problem seit Langem: "In meiner Galerie habe ich bisher 154 Künstler ausgestellt. Von den 154, schätze ich, sind 40 nicht mehr am Leben. Was wird damit, was die geschaffen haben? Der 2018 verstorbene Künstler Joachim John hat auf seinem Hof Ölbilder verbrannt, weil er gesagt hat, das will später keiner mehr haben. Armin Münch, der großartige Zeichner und Grafiker, der 2013 in Rostock gestorben ist, hat rund 15.000 Grafiken und Zeichnungen an die Universität verschenkt. Die sind irgendwo verschwunden." Einige dieser Blätter tauchten auf eigenartigen Wegen im Internet auf, angeboten zum Verkauf.
Eckard Bergmann berichtet auch von weniger bekannten Künstlern wie dem Parchimer Maler Paul-Oskar Seese, dessen Arbeiten nach seinem Tod schlichtweg im Müllcontainer gelandet sind. Auf Nimmerwiedersehen: Das ist in den meisten Fällen noch immer das traurige Ende nach einem ganzen Leben für die Kunst.
Aufmerksamkeit der Politik auf Kunstnachlässe lenken
Prof. Wolfgang Vogt, der im Westen Mecklenburgs das Kulturforum Pampin betreibt, macht seit Jahren auf das drängende Problem des Umgangs mit Kunstnachlässen öffentlich und laut aufmerksam: "Künstlernachlässe sind ein unglaubliches Potential, das nicht verloren gehen darf. Das muss politisch wesentlich höher eingestuft werden. Im Moment ist das am hinteren Ende der Aufmerksamkeit - wenn man überhaupt darauf schaut. Viele Künstler, die in Mecklenburg-Vorpommern leben, sind inzwischen in einem sehr reifen Alter. Das heißt, da ist absehbar, dass irgendwann das Problem des Nachlasses gelöst werden muss."
Da ist also die Kulturpolitik des Landes und der Landkreise gefordert. "Wir haben nach der Landkreisreform riesengroße Landkreise", erklärt Vogt. "Die müssten meiner Ansicht nach eine eigene Kulturpolitik entwickeln. Wenn ich das Thema Nachlässe bearbeiten will, muss ich über viele Fragen nachdenken: Es müssen Ausstellungen geplant werden - dazu braucht es Räume, Geld, Personal und Qualifikation. Das alles haben wir derzeit nicht - ein riesen Defizitloch." Das sollte möglichst geschlossen werden.
Vereine und Archive zur Nachlasspflege
Mit dem Blick auf den Kulturtourismus könnte es vor allem für kleinere Städte im Land sehr interessant sein, eine Sammlung von Kunstvor- oder Kunstnachlässen mit regelmäßig wechselnden Ausstellungen zu unterstützen. Dazu gibt es inzwischen auch private Initiativen: In Parchim haben sich engagierte Menschen zusammengefunden - Künstler, Kunstwissenschaftler, Steuerberater, Ärzte, Unternehmerinnen -, die sich um die Bewahrung von Kunstnachlässen kümmern und sie der Öffentlichkeit zugänglich halten wollen. Dazu soll eine gemeinnützige GmbH gegründet werden. Eine entsprechende Satzung liegt bereits vor.
Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ist in dieser Hinsicht schon sehr viel weiter: Dort gibt es seit 2015 das Archiv Bildende Kunst MSE. Das Archiv wird inzwischen von einem Verein betrieben und sammelt und pflegt nach festgelegten Kriterien ausgewählte Werke von Künstlerinnen und Künstlern - entweder als Vor- oder als Nachlass.