"Lost Places": Archäologie der Gegenwart
Verlassene Fabrikgebäude, unterirdische Bunker, nie benutzte U-Bahngleise - das sind sogenannte "Lost Places". Das Archäologische Museum in Harburg zeigt jetzt 150 großformatige Fotos solcher Orte in Hamburg, Deutschland und der Welt.
Durch eine glaslose Fensteröffnung fällt Sonnenlicht in einen Raum. Feuchte, von Moos bewachsene Wände hüllen die ganze Szene morbide ein; ein alter Stuhl mit herausgefallener Rückenlehne steht wie tot in dieser Szenerie. Das Foto stammt aus der New York Hamburger Gummiwaren Fabrik im Harburger Binnenhafen. Nach 150 Jahren wurden die Gebäude 2009 sich selbst überlassen und so zu einem "Lost Place".
Der Archäologe Michael Merkel, der die Ausstellung im Archäologischen Museum zusammengestellt hat, war selbst auch schon vor Ort, betont aber, dass der Besuch dieser "Lost Places" eigentlich illegal und "immer ein Stück Hausfriedensbruch" sei - auch, wenn sich um diese Orte kaum mehr jemand kümmere.
Alte Werbeplakate laden zum Interpretieren ein
"Urbexer", urban explorers, sozusagen Stadtentdecker, nennen sich jene, die "Lost Places" aufsuchen und fotografieren. Sie haben sogar einen Kodex: "Rühre nichts an, nimm nichts mit, hinterlasse nur Fußspuren und mache ein gutes Foto", sagt Merkel. Die Bilder der Ausstellung sind überaus fesselnd und haben einen ganz eigenen Charme des Vergänglichen.
Da sind zum Beispiel die beiden U-Bahn-Tunnel am Hauptbahnhof, leer, Laub weht durch die verkachelten Röhren. Sie wurden im Dezember 1968 fertiggestellt. Anfangs konnten Passagiere die Bahnsteige betreten; deshalb plakatierte man damals zwei große Werbetafeln: "Da ist zum Beispiel eine Computerwerbung drin: 'Lernen für morgen'. Und da geht es um Lochstreifen. Da kichern wir heute - aber so fängt ja die Interpretation an", erläutert der Kurator.
"Lost Places" als archäologische 3D-Orte
Und das sei es, was die Archäologen bei solchen Zeitkapseln, wenn auch neueren Datums, so interessiere, wie Merkel weiter ausführt: "Wir Archäologen sind ständig damit beschäftigt, Strukturen unserer Vorfahren zu interpretieren. Wir versuchen ständig, herauszufinden, wie sie gelebt, was sie gemacht, was sie gegessen haben. Wir graben römische Tempel aus, wir graben Hausruinen aus - und immer fangen wir an, zu interpretieren." Die 'Lost Places' der Gegenwart seien "noch in 3D erhaltene Orte von Menschen" und deshalb auch Archäologie.
Neben einer überwiegend männlichen Szene bei den Fotografierenden gibt es auch noch die Graffitti-Künstler, die großes Interesse an den 'Lost Places' haben: Im öffentlichen Raum können sie ihre Kunst nur schwierig ausleben - in den verlassenen Orten haben sie Ruhe und häufig auch die Flächen, um großformatige Bilder zu produzieren. Diesen bunten Kunstwerken ist eine ganze Wand gewidmet.
Elbtower eine Vorstufe zu einem "Lost Place"?
Eine sehr berührende Ausstellung, deren Faszination in der Schönheit des Verfalls liegt. "Lost Places" entstehen immerfort. Da stellt sich die - ein bisschen ketzerische - Frage: Gehört der Elbtower-Stummel eigentlich auch schon dazu? "Theoretisch ja", meint Ausstellungskurator Merkel, "das Ding steht seit einem Jahr still - im Grunde ist es die Vorstufe von einem 'Lost Place'."
Begleitet wird die Ausstellung von einem vielfältigen Programm, das unter anderem auch Besuche in verlassenen Bunkern in Hamburg beinhaltet.
"Lost Places": Archäologie der Gegenwart
Fabrikgebäude, U-Bahnhöfe, Mausoleen - das Archäologische Museum in Harburg zeigt 150 großformatige Bilder verlassener Orte.
- Art:
- Ausstellung
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Archäologisches Museum Hamburg-Harburg
Museumsplatz 2
21073 Hamburg-Harburg - Preis:
- 8 Euro
- Öffnungszeiten:
- Di-So, 10-17 Uhr