Freier Eintritt im Miniatur Wunderland: "Momente voller Dankbarkeit"

Stand: 15.01.2025 09:02 Uhr

Seit zehn Jahren gibt es im Hamburger Miniatur Wunderland im Januar an ausgewählten Tagen die Möglichkeit, das Museum zu besuchen, ohne Eintritt zu zahlen. Das Angebot richtet sich an Menschen, die sich den Besuch sonst nicht leisten können - ohne Nachweis. Dafür gibt es im Netz auch Kritik. Ein Gespräch mit Mitbegründer Frederik Braun.

Mehr als 100.000 Menschen haben durch die Aktion mit dem Titel "Kann ich mir nicht leisten" in den letzten Jahren freien Eintritt ins Miniatur Wunderland bekommen. Doch das Miniatur Wunderland erntet mit der Aktion nicht nur Lob. Immer wieder erreichen die beiden Gründer Hasskommentare im Netz, warum sie so "bescheuert" seien, den Menschen zu vertrauen. Ein Gespräch über Vertrauen in die Menschheit, Neid, das Gefühl abgehängt zu sein und Momente tiefster Dankbarkeit.

Herr Braun, warum gibt es bei Ihnen im Haus die Aktion mit dem freien Eintritt?

Frederik Braun: Wir machen das schon seit zehn Jahren und ich sage immer gerne, das liegt an unserer Erziehung. Wir haben von unserer Mutter gelernt, nach links und rechts zu schauen, wie es der Welt geht - man kann das auch Empathie nennen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass ganz viel im Argen ist und man immer irgendwo helfen kann. Wir sind durch den Erfolg des Wunderlandes und auch dadurch, dass wir etwas haben, was den Menschen Spaß bringt, in der prädestinierten Lage, dass wir helfen können - und das tun wir.

Es gab einen Moment an Weihnachten vor zehn Jahren, da bin ich mit unseren damals noch nicht mal ein Jahr alten Zwillingen am Heiligabend aus der Kirche raus und dabei hat der Pastor Schokolade verteilt. Die habe ich unseren Kindern gleich wieder weggenommen, aber vor der Kirche stand eine Familie, die uns dann nach dieser Schokolade gefragt hat. Ich habe die ihnen ohne groß darüber nachzudenken gleich in die Hand gedrückt und die Reaktion darauf, hat mich so dermaßen berührt. Wegen einer kleine Tafel Schokolade gab es eine irre Freude und Dankbarkeit. Am 25. habe ich dann wie immer meinen Zwillingsbruder Gerrit getroffen und wir haben darüber geredet, wie viele Menschen nicht dieses Glück haben wie wir. So ist die Idee mit dem freien Eintritt geboren.

Im Januar ist im Miniatur Wunderland "saure Gurken Zeit", zumindest unter der Woche ist weniger los als sonst. Die nächste Frage war dann: Wer darf davon profitieren? Wie sollen die Menschen das beweisen, dass sie sich den Eintritt nicht leisten können? Es gibt aber auch Menschen, die haben drei Jobs und kommen gerade so über die Runden - die haben so einen Nachweis eben nicht, oder ihnen ist mal im Leben etwas Schlimmes passiert und so weiter. Also haben wir uns dazu entschieden, den Menschen zu vertrauen und ihnen zu sagen: Ihr entscheidet selbst, ob ihr das Angebot in Anspruch nehmen möchtet oder nicht.

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Seit Beginn der Aktion gibt es sehr unterschiedliche Reaktionen, wie fallen diese aus?

Braun: Hier vor Ort gibt es ganz viele extrem positive Momente voller Dankbarkeit, aber auch in der digitalen Welt, wo wir die Informationen zu der Aktion hauptsächlich veröffentlichen. Aber viele schreiben auch: "Ihr seid verrückt" oder dass wir wahnsinnig sind, dass wir keinen Nachweis fordern, dass wir betrogen werden würden. Dass man den Menschen nicht trauen kann und so weiter.

Wie viele nehmen das Angebot in Anspruch und wie viele zahlen trotzdem den normalen Eintrittspreis?

Braun: Jeder Wochentag ist anders. In diesem Jahr waren es zum Beispiel am ersten Tag der Aktion über 300. Das ist extrem viel für den ersten Tag, da waren in Schleswig-Holstein aber auch noch Ferien. Meist werden es zum Ende der Aktion immer mehr. Letztes Jahr waren es am letzten Tag der Aktion 1.320. Den Samstag können wir leider nicht anbieten, denn da haben wir auch im Januar oft schon zwei bis drei Stunden Wartezeit. Den Sonntag haben wir freigegeben mit der großen Bitte, erst ab einer bestimmten Uhrzeit zu kommen. Und trotz dieser vielen Warnungen haben wir auch sonntags teilweise bis zu 1.000 Menschen, die dann neunzig Minuten gewartet haben - denn dieses Aktionsticket kann man vorher nicht buchen. 

Das zeigt, dass Bedarf vorhanden ist. Wie wichtig ist denn kulturelle Teilhabe in Ihren Augen - vielleicht auch gerade jetzt in einer Zeit, in der viele große Probleme und Herausforderungen sehen?

Braun: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Gesamtsituation in Deutschland nicht so schlecht ist, wie sie oft dargestellt wird. Das kann ich natürlich aus meiner sehr gut situierten Position ganz einfach sagen. Aber: Ich versuche immer, links und rechts zu schauen und habe auch einen sehr breitgefächerten Freundeskreis. Da habe ich wirklich alles dabei und versuche auch dort, ein Gefühl zu gewinnen. Ich glaube, dass wir sehr viel schlechte Laune in diesem Land haben, die nicht ganz berechtigt ist. Das hoffe ich zumindest und dass wir uns aber sehr von lauten Stimmen anstecken lassen, wie schlimm in Deutschland alles ist. Wenn man genau hinschaut und vor allem auch über die Grenze hinaus in andere Kontinente, dann geht es uns doch gar nicht so schlecht. Oder wir könnten zumindest mit dem, was wir haben, besser leben, wenn wir optimistischer auf unser Dasein gucken.

Besucher betrachten ein Modell im Miniaturwunderland © picture alliance/dpa | Markus Scholz Foto: Markus Scholz
Im Januar bietet das Miniatur Wunderland an ausgewählten Tagen freien Eintritt für einkommensschwache Besucher - zur Freude vieler Familien.

Es wird auch oft das Gefühl geäußert, dass es sehr gewalttätig ist. Wenn Menschen zusammentreffen, kommt leider auch oft Gewalt ins Spiel - vor allem unter Männern. Ich glaube, dass jeder Vorfall in dieser Richtung extrem ausgeschlachtet wird. Viele Mächte wollen genau das, Angst verbreiten, zum Beispiel in den sozialen Medien unter jungen Menschen - nach dem Motto: Mach den Menschen Angst und sie folgen dir. Und ich glaube, ein ganz großer Nährboden, sowohl dafür, das zu glauben als auch, um gewalttätig zu werden, ist das Gefühl, abgehängt zu sein, sich nicht zugehörig zu fühlen, gemobbt zu werden, negative Dinge immer wieder zu erfahren. Dann entsteht natürlich eine innere Wut, und mit Wut geht jeder Mensch anders um. Es gibt halt manche Männer, die damit nicht gut umgehen können. Und ich weiß, dass ich mit dieser Meinung ganz schön anecken kann: Aber wenn wir uns die letzten Schulmassaker in den USA anschauen, dann sind die Täter oft abgehängt von der Gesellschaft oder von der Klassengemeinschaft.

Das Allerbeste, um so etwas zu vermeiden, ist, dass man miteinander spricht und Rücksicht aufeinander nimmt. Das Minimum des Anspruchs eines jeden Menschen in Deutschland sollte sein, dass man seine Nachbarn kennt. Das ist immer möglich. Man kann auf Menschen zugehen und sich dafür interessieren: Wer lebt da eigentlich neben mir? Meistens lernt man sich heutzutage nur noch kennen, wenn man sich streitet. Falls man dann erfährt, dass es jemandem nicht gut geht, kann man vielleicht mal helfen. Es ist schön, wenn man in einer Position ist, in der man helfen kann. Das muss auch nicht nur finanzielle Hilfe sein, es kann auch Zeit sein oder einfach zuzuhören. Wir müssen auch versuchen, die Menschen wieder mehr zu verstehen, was ist jemandem passiert, wenn er etwas Bestimmtes fühlt.

Wie erklären Sie diesen Neid und Hass, der Ihnen bei Aktion zum Teil im Netz entgegenschlägt?

Braun: Wir gehen in diesem Jahr sehr offensiv damit um, ich habe es auch in unserem Newsletter thematisiert, ich weiß nicht ob es daran liegt, aber immerhin ist es in diesem Jahr etwas weniger. Die Menschen, die das ausnutzen, das ist minimal - vertraut ihnen doch mal. Ich glaube, Neid ist ein deutsches Thema. Warum sind wir oft so negativ? Ich habe fünf Kinder von eins bis zehn, und Neid ist dort vorhanden. Ich versuche, ihnen immer klarzumachen, dass Neid sie überhaupt nicht weiterbringt. Das klappt aber nur bedingt, es ist schwer, den Menschen das beizubringen. Neid kann nie Glück erzeugen - nur Unglück. Vielleicht kommt diese Erkenntnis irgendwann mit der Lebenserfahrung. 

Woher wissen Sie, dass nur wenige das Angebot ausnutzen und stört Sie dieser Gedanke nicht?

Braun: Das stört und interessiert mich nicht. Natürlich haben wir aber auch die schöne Situation, dass es dem Miniatur Wunderland super geht. Wir schweben von einer Euphoriewelle in die nächste. Es tut uns überhaupt nicht weh, wenn irgendjemand da zahlen könnte, es aber nicht tut. Mein Team und ich, wir sehen das aber schon gleich an der Kasse, an den Gesprächen, die wir mit den Menschen führen. Wie sie uns das sagen, dass sie sich den Eintritt nicht leisten können. Es gibt so viele emotionale Momente, in denen schon Tränen geflossen sind, weil Mütter ihren Kindern endlich diesen Wunsch erfüllen konnten. In 70 bis 80 Prozent der Fälle ist wirklich sofort eine unglaubliche Dankbarkeit zu spüren. Es kamen auch schon mal zwei Schweizer Geschäftsleute im Anzug und haben gleich darüber gescherzt, ob es denn wahr sei, dass man umsonst reinkomme, nur wenn man sagt, dass man es sich nicht leisten kann. Unsere Kollegin an der Kasse hat dann ganz trocken "ja" gesagt und den beiden Herren zwei Tickets ausgestellt, die haben sich schiefgelacht. Letztlich bin ich den beiden sogar dankbar, dass ich jetzt diese Geschichte erzählen kann.

Trotzdem bin ich mir ganz sicher, dass sich 90 bis 95 Prozent den Eintritt nicht leisten können - oder sie sind hart an der Grenze, dass sie es sich leisten können. Wir sehen das auch am Pro-Kopf-Umsatzes der Gastronomie, dass sich viele das nicht erlauben können, dort einzukehren, obwohl wir dort faire Preise haben. Also der Umsatz bricht wirklich ein - im Vergleich dazu, wenn wir 1.000 zahlende Gäste haben.

Gibt es Ihrer Meinung nach genügend solcher Angebote für Menschen, die sich das nicht leisten können?

Braun: Nein, die gibt es meiner Meinung nach nicht und ich möchte das auch als ganz klaren Appell an alle Freizeit- und Erlebnisparks verstehen. Viele sind tatsächlich schon auf uns zugekommen und haben nach unseren Erfahrungen gefragt und machen jetzt ähnliche Konzepte. Aber mir würden viele Orte einfallen, die zum Beispiel im Januar unter der Woche komplett leer sind - das Personal, die Anlagen und so weiter sind aber trotzdem da und müssen sowieso bezahlt werden.

Warum nicht mal zwei, drei Tage machen, wo jeder kommen kann, der möchte? Ich rate dazu, es einfach mal auszuprobieren und dann soll sich der Geschäftsführer gerne mal selbst an die Kasse stellen und aufsaugen, wie schön das Leben ist. Eine andere Situation haben natürlich etwa staatliche Museen, die das ganze Jahr über verringerten oder gratis Eintritt haben, dann kann ich verstehen, dass die zum Beispiel auf einen Nachweis der Menschen angewiesen sind.

Mein Zwillingsbruder hat vor vielen Jahren so einen witzigen Satz gesagt, den ich echt toll finde. Er sagte: Ich spiele kein Lotto. Ich habe meinen Lottogewinn schon. Statistisch gesehen kann man nicht zwei Mal im Lotto gewinnen. Ich bin zu dieser Zeit in dieser Familie an diesem Ort der Welt geboren worden. Das ist ein Lottogewinn.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

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NDR Info | 26.11.2024 | 21:45 Uhr

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