Die Femme fatale in der Kunst
Das Bild der Frau in der Kunst wurde vor Kurzem auch in der Hamburger Kunsthalle behandelt, allerdings mit Fokus auf ein bestimmtes Frauenbild: die sogenannte Femme fatale. Selvi Göktepe ist eine der Assistenzkuratorinnen der Ausstellung.
NDR Kultur: Geben Sie uns mal einen groben Abriss. Wie hat sich die Darstellung von Frauen in der Kunst verändert?
Selvi Göktepe: Ich kann dazu sagen, dass die Darstellung der Frau lange Zeit von männlichen Künstlern dominiert wurde. Wenn wir uns die Darstellungen von Frauen im 19. Jahrhundert ansehen, sehen wir dort eine deutliche Kategorisierung von Frauen: Einerseits gibt es die klassische Mutterrolle, die Heilige - häufig Nonnen et cetera - oder das komplette konträre Modell dazu, nämlich die Femme fatale, die sich ihrer Sexualität hingibt und eine Gefahr für den Mann darstellt.
Welche Unterschiede gibt es jetzt, wenn wir gucken, ob das Bild ein Mann oder eine Frau gemalt hat?
Göktepe: Wenn sich Frauen der Kunst gewidmet haben, mussten das meistens Bilder sein, die als gesellschaftlich angemessen erachtet worden sind - also Gemälde, die ein besonders großes Pathos erzeugen, und Themen, die eher als niedere Kunst erachtet worden sind. Künstlerinnen haben sich eigentlich nie den großen Historienmalereien gewidmet. Das war ein deutlich männlich dominiertes Feld.
Wann hat sich das verändert?
Göktepe: Ich würde sagen im anfänglichen 20. Jahrhundert, explizit in den 20er-Jahren. Da hat sich das gedreht.
Parallel dazu gab es die Entwicklung, dass es auf einmal immer mehr Medien gab, in denen Bilder eine Rolle spielen - also nicht nur das klassische Gemälde, sondern Kino und Werbung. Welche Frauenbilder wurden da im 20. Jahrhundert noch gezeichnet?
Göktepe: Tatsächlich wurden da die Medien stark von Grafikerinnen geprägt. Aber wenn man bedenkt, dass dann die NS-Zeit kam und dort wieder eine sehr traditionelle Verteilung von Geschlechterrollen vertreten worden ist, gab es da natürlich einen Rückschritt. Erst in den 60er-Jahren haben sich Frauen mit dem Aufkommen des Feminismus gegen gewisse Bilder gewehrt und diese ironisiert. Wenn wir an unsere eigene Zeit denken, wurden da über Werbung gewisse Schönheitsideale präsentiert: In den 2000er-Jahren waren das sehr, sehr dünne, jetzt schlaksig wirkende Frauen. Heute kennt man es aus Social Media: Sehr kurvige Frauen sind im Trend und das wird weiterhin über gewisse Bilder reproduziert und verankert sich in unserer Gesellschaft.
Bleiben wir mal in der Gegenwart: Das Femme-fatale-Bild, mit dem Sie sich auseinandergesetzt haben, ist das heute noch irgendwo zu finden?
Göktepe: Definitiv! Ich bin neulich auf einen Beitrag auf YouTube gestoßen, wo es um einen TikTok-Trend geht, der Tipps gibt, wie man in seine reine weibliche Energie kommt. Sehr interessant, weil es an das Femme-fatale-Bild anknüpft. Ich war sehr erschrocken darüber, weil dort die feminine Energie in zwei Energien eingeteilt wird - nämlich in die helle und die dunkle Energie. Die dunkle Energie wird assoziiert mit einer sehr emanzipierten Frau, die sich ihrer weiblichen Sexualität bewusst ist und damit spielt, um den Mann für sich zu gewinnen. Die helle Energie ist die Heilige, die liebevolle Frau.
Da sieht man diese zwei Parallelen wieder. Es geht darum, dem Mann zu gefallen. Das fand ich sehr erschreckend, weil wir in der Femme-fatale-Ausstellung ganz klar diese Kategorisierungen ablehnen wollten. Wir wollten aufzeigen, dass das ein Konstrukt ist, das von sehr männlichen und binären Blickordnungen geprägt ist und das zu dekonstruieren ist.
Wir teilen längst nicht mehr nur in binäre Geschlechteridentitäten ein. Wo und an welchen Stellen finden wir das gegenwärtig in der Kunst abgebildet?
Göktepe: Das gibt es recht häufig. Der Queerfeminismus ist präsenter denn je. Wir hatten auch in unserer Ausstellung gezeigt, dass es schon in den 70er-Jahren Bilder gibt, die diesen damals noch recht binär geordneten Feminismus weitergeführt haben. Wir hatten zum Beispiel in der Ausstellung ein Werk von Sylvia Sleigh, eine Lilith-Darstellung, die die Überlappungen zweier Geschlechter - einer männlichen Figur und einer weiblichen Figur - aufgezeigt hat. Das finden wir immer mal wieder und natürlich ist das jetzt noch mal präsenter geworden.
Das Gespräch führte Jan Wiedemann.