Wie moderne Kunst das Heidedorf Neuenkirchen prägt
In Neuenkirchen bei Soltau helfen viele Dorfbewohner mit bei einer Putzaktion für experimentelle Kunst. Obwohl moderne Kunst nicht jeden Geschmack trifft, packen alle gemeinsam an. Für die Reihe "Das Dorf Ding" ist Julia Westlake vor Ort.
Einmal im Jahr sammelt Bettina von Dziembowski vom Springhornhof ihre "Putzkolonne" zusammen - für die Kunst. Mit Helfern aus dem Dorf fährt sie die Skulpturen in der Umgebung ab, per Trecker natürlich. Doch die Kunst ist auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar, denn sie fügt sich gut in die Landschaft ein.
"Ist das Kunst oder kann das weg?"
"Land-Art" nennt sich das, und die gibt es hier seit fast 60 Jahren. Zum Beispiel Steine, schwebendes Holz und Häuser, die leuchtend in die Natur ausstrahlen - oder sie hineinlassen. "Wir kommen zu der Skulptur 'Walze'", sagt Bettina von Dziembowski. "Das ist ein bisschen der Spitzname von Hawoli, einem Künstler, der hier im Ort lebt. Die müssen wir natürlich pflegen. Alles Weitere sehen wir hier gleich." Auch die zu den Kunstwerken gehörenden Tafeln müssen geputzt werden. Der Rest natürlich auch. Der Putzeinsatz wird aber kritisch von ein paar Kühen beäugt - und wirft auch noch etwas für die Nachbarn ab.
Die Neuenkirchener fühlen sich verantwortlich für die moderne Kunst und auch dafür, dass sie verstanden wird. Manches trifft nicht gleich jeden Geschmack, muss erklärt werden. Ins Zeug legen sich aber alle: "Es ist anstrengend. Wenn man spazieren geht, denkt man schon manchmal: Ist das Kunst oder kann es weg?", findet eine Dorfbewohnerin. "Die Touristen sehen es manchmal nicht, aber seitdem wir diese wunderbaren Schilder haben, drehen sie sich und sagen: Oh, das lese ich mal; dann gucke ich mal intensiver. Da haben wir sehr gute Erfahrungen damit."
Kunstwerke, die sich in die Landschaft einfügen
Die Linie, die gerade geputzt wird, soll wieder sichtbar sein, damit der "Einschnitt" vom Künstler Nikolaus Gerhart auch wieder wirken kann. "Wirken" muss auch "Augenwaider". Herbert Zimmermann kümmert sich mit dem Bunsenbrenner um die Löcher, die der Künstler bewusst gesetzt hat. Sie sollen das Licht der Sonne spielen lassen, wenn man in der Skulptur steht - ein bisschen wie bei historischen Sakralbauten: ein richtiger Blickfang!
Das ist auch das "Blaue Haus" von Horst Lerche: eine offene Balkenkonstruktion, die den Himmel hineinlässt. Durch die knallige Farbe scheint es in der Landschaft zu schweben. "Hier muss richtig frische Farbe ran", erklärt von Dziembowski und Julia Westlake ergänzt: "Auch die Balken sind ganz neu. Die alten waren durchgefault und mussten ausgetauscht werden. Die brauchen jetzt wieder einen Anstrich im richtigen Himmelblau." Das Kunstwerk fügt sich in die Landschaft ein, je nach Jahreszeit, erzählt von Dziembowski: "Das ist eine der Arbeiten, die über die Farbe ganz wunderbar mit den wechselnden Farben der Natur spielt. Wenn Schnee liegt, ist das eine ganz klare, blaue Zeichnung."
Kulturelles Angebot gegen Landflucht
Das Zusammenspiel aus Natur und Kunst ist hier in der Lüneburger Heide ein Magnet für den Tourismus. Nicht zu vergessen: die Heidschnucken. Aber viele Dörfer haben mit Abwanderung zu kämpfen. Die Jungen ziehen raus in die Welt, kommen aber nicht zurück. Anders hier in Neuenkirchen: Die Einwohnerzahl ist seit 20 Jahren stabil. Ob die "Land-Art" und alles, was dazu gehört, dazu beiträgt? Sie stiftet auf jeden Fall Gemeinsamkeit.
Fremd ist die experimentelle Kunst den Menschen hier schon lange nicht mehr. "Es gibt sogar Leute, die bei der Auswahl des künftigen Wohnortes gucken, was so geboten wird", sagt ein Dorfbewohner. "Dann heißt es: Wenn das kulturelle Angebot stimmt, ziehen wir gerne hin. Wenn man nach Neuenkirchen reinfährt, heißt es "Ankommen" und wenn man rausfährt, in ganz großer Schrift "Bleiben". Danach werden wir immer gefragt. Die Leute finden das toll."
Es scheint, als hält die "Land-Art" das Dorf zusammen - und die Putzaktion vom Springhornhof hilft dabei. Der Herbst kann kommen. Die Kunst ist auf jeden Fall wetterfest und leuchtet wieder.