Wer rettet das Ihme-Zentrum? Doku über den Betonklotz in Hannover
Einst als Architekturwunder gefeiert, ist das Ihme-Zentrum in Hannover inzwischen dem Verfall überlassen. Was kaputt ist, wird nicht mehr repariert, und die Menschen, die dort wohnen, müssen die Insolvenz des letzten Investors finanziell ausbaden.
Monika Strzedulla wohnt seit 45 Jahren im Ihme-Zentrum. Gemeinsam mit ihrem Mann hat die pensionierte Lehrerin die Wohnung Anfang der 1980er-Jahre gekauft und hier zwei Töchter großgezogen - ein Bullerbü in Beton: "Samstags waren oft Attraktionen. Einmal wurde an unserem Haus im siebten Stock ein Trapezkünstler festgemacht. Die sind da mit Motorrädern auf einer Schiene runter. Hier war echt was los!"
Das Ihme-Zentrum kennt in Hannover wohl jeder. Mittlerweile gilt es als Schandfleck. Die einst florierenden Ladenflächen sind verlassen - 60.000 Quadratmeter Leerstand seit fast 20 Jahren.
Seit 20 Jahren verwahrlost das Ihme-Zentrum
Ein NDR Team war mehrere Wochen vor Ort, hörte die Not vieler Menschen und ging der Frage nach: Wie konnte das Märchen des Ihme-Zentrums für sie zu diesem Albtraum werden?
"Wenn ich aus meinem Haus rausgehe, gehe ich durch Unrat, durch verdreckte Gänge", erzählt Strzedulla. Das finde ich natürlich nicht schön. Das war früher nicht so. Wenn Besuch kommt, besonders Besuch, der noch nicht da gewesen ist, kann ich den eigentlich gar nicht zu meiner Adresse schicken. Wenn man an der Blumenauer Straße steht, kann man sich nicht vorstellen, dass man in dieses dunkle Loch, in diesen Gang reingeht, um da jemanden zu besuchen."
Ende der 1960er-Jahre entstand das Ihme-Zentrum auf dem größten Betonfundament Europas. Die Utopie von einer Stadt in der Stadt: Geschäfte, Sauna, Bowlingbahn, Schwimmbad, Kinderbetreuung - alles bequem vor Ort. Die Wohnungen waren nicht billig. Aber: Ende der 1990er-Jahre wird der Leerstand immer drängender. Die ursprünglichen Investoren wollen ihre Gewerbeflächen loswerden. Das Ihme-Zentrum wechselt von Investor zu Investor. Damit bekommen auch die fast 200 Mietwohnungen immer wieder neue Eigentümer - ihr Zustand ist schon lange schlecht.
Ständiger Investoren-Wechsel
"Früher ist es schön gewesen. Jetzt ist es wie im Krieg", findet Svetlana. Sie ist 1996 aus Serbien nach Deutschland gekommen. Ein Jahr später schon zog sie ins Ihme-Zentrum. Ihre Wohnung ist wegen eines Wasserrohrbruchs seit über einem Jahr nicht mehr bewohnbar. Svetlana hat zwar eine Ersatzwohnung im Ihme bekommen, aber sie wartet noch auf knapp 1.600 Euro aus einer alten Nebenkostenabrechnung.
"Die Firma ist insolvent, keiner kann was reparieren", erzählt sie. Sanierungen werden verschleppt, weil Investoren kommen und gehen. Jedes Mal gibt es große Versprechungen und die Hoffnung, dass sie es schaffen, die goldenen Zeiten des Ihme-Zentrums zurückzuholen.
Kosten werden auf Eigentümerinnen und Eigentümer umgelegt
Zuletzt gehörten Lars Windhorst mit der Firma Projekt IZ Hannover GmbH 80 Prozent des Ihme-Zentrums: "Aus Investorensicht ist diese Investition nur dann nachhaltig interessant, wenn sie optisch attraktiv ist, wenn es ein positives Momentum gibt und dass Leute sehen und spüren, dass sich wirklich etwas verändert", sagt er. Es hat sich gar nichts verändert. Stattdessen stellt sich die Frage: Warum hat Windhorst mit mehr als 100 Millionen Euro sechsmal so viel bezahlt wie der Investor vier Jahre zuvor?
Inzwischen musste Windhorsts Firma Insolvenz anmelden. Bislang hatte die beim Ihme-Zentrum Hausgeld gezahlt, denn auch für die leerstehenden Flächen fallen hohe Nebenkosten an. Das müssen die rund 500 Klein-Eigentümer des Ihme-Zentrums nun mit monatlichen Sonderumlagen auffangen: Rentnerinnen wie Britta Zogall und Petra Clodius. Seit acht Monaten schon fallen für sie 1.000 Euro im Monat mehr an, erzählt Zogall: "Das ist unsere Altersvorsorge gewesen, die wir Monat für Monat raushauen müssen. Da haben wir uns andere Vorstellungen von gemacht. Wir haben extra unsere Wohnungen saniert bis zur Rente, damit wir dann in Ruhe für relativ günstiges Geld hier leben können."
Den Machenschaften hilflos ausgeliefert
Und: Es tobt ein weiterer Streit. Investor Lars Windhorst hat dem Ihme-Zentrum Grundschulden in Millionenhöhe zugunsten von zwei Firmen überlassen. Hinter beiden steht der Hamburger Unternehmer Ulrich Marseille. Er könnte das Gebäude versteigern lassen und bekäme dann das Geld, was eigentlich den Geschädigten wie Monika Strzedulla gehört. "Das Geld ist weg. Das gibt es nie mehr zurück. Da ist eine Hilflosigkeit - man ist diesen Machenschaften ausgeliefert und kann da nichts dagegen tun", sagt Strzedulla. Der Wert ihrer einst so schönen Wohnung hat sich jetzt schon halbiert und ein Verkauf ist ohnehin aussichtslos: "Eine Wohnung, bei der man für einen Investor, für eine Heuschrecke, Geld zahlen muss - wer will die denn?"
Die Zukunft des Ihme-Zentrums ist komplett ungewiss. Klar ist: Investoren haben sich verspekuliert und die Menschen dort müssen es ausbaden.