Cartoonist Tobias Vogel: "Strichmenschen beflügeln die Fantasie"
Tobias Vogel veröffentlicht unter dem Pseudonym "Krieg und Freitag" seit 2017 Strichmenschen-Zeichnungen in den sozialen Netzwerken. Juliane Bergmann spricht mit ihm über Papier und Bildschirme, über mutige Neuanfänge und Internet-Hypes.
Bei Tobias Vogel ist die Psyche ein kleiner Schlingel: Seine Figuren existieren um die Wette, haben als Lieblingsbeschäftigung schlafen und sobald sich zwei davon verlieben, wollen sie miteinander welk werden.
Herr Vogel, Sie beherrschen auch Aquarelle und komplexe Cartoon-Welten. Das sieht man immer wieder, wenn man auf Ihre Seite geht. Sie haben gesagt, dass Sie künstlerisch nicht viel können, aber das ist schon eine Entscheidung, dass Sie diese Strichmenschen, diese Reduktion gewählt haben, oder? Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?
Tobias Vogel: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass ich wenig künstlerisch kann, sondern eher, dass man mir all die Jahrzehnte, in denen ich nicht gezeichnet habe, teilweise ganz schön anmerkt. Ich habe erst mit Mitte 30 damit losgelegt, was ein bisschen spät ist. Andere, die ich aus dem Bereich kenne, haben ihre gesamte Kindheit malend und zeichnend in ihrem Kinderzimmer verbracht. Diese Zeit fehlt mir. Zeichnen und Malen ist letzten Endes nur eine Frage der Übung. Das kann eigentlich jeder, der die entsprechende Zeit investiert, erlernen. Ich bin versehentlich im Laufe der Zeit zumindest ein bisschen virtuoser geworden, was das angeht. Ich habe ein bisschen herumexperimentiert, mich mit Aquarell und abstrakter Kunst auseinandergesetzt - vor allem weil ich mich sonst wahrscheinlich mit meinen entvölkerten Welten, in denen nur ein paar Figuren rumrennen, irgendwann gelangweilt hätte. Das ist aber nichts, wonach irgendjemand gefragt hätte. Das hat sich automatisch entwickelt.
Man erkennt Ihre Figuren sofort wieder: Die haben keinen Hals, sind eher kompakt und auf jeden Fall ein bisschen knuffig. Die haben kein Gesicht, obwohl ich immer auch eine Mimik zu sehen oder zu spüren glaube. Wieso haben Sie sich für diese Physiognomie entschieden?
Vogel: Zunächst einmal war das aus der Not heraus. Ich wusste schon, es sollen Strichfiguren werden. Dann habe ich aber festgestellt: Okay, es gibt sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten, Strichfiguren zu zeichnen. Ich habe herumprobiert und bin irgendwann bei dieser Form rausgekommen, weil ich die ästhetisch am ansprechendsten fand. Selbst wenn es einfach gezeichnet ist, soll es keine komplette Beleidigung fürs Auge sein. Das war etwas, was mir von Anfang an wichtig war.
Ich habe irgendwann festgestellt, dass diese Figuren ein ziemlicher Vorteil sind, denn die beflügeln die Fantasie, und die Menschen können ganz viel hineininterpretieren. Das kann man vielleicht mit reduziertem Holzspielzeug vergleichen, das auch die Fantasie von Kindern beflügeln sollen. Wenn nicht so viel vorgegeben wird, muss der Betrachter selber Einiges ergänzen - und das gefällt vielen Menschen.
Sie sagen Strichmenschen statt Strichmännchen. Ist das ein Bewusstsein für diskriminierungsanfällige Formulierungen?
Vogel: Ich muss jetzt die Leute schockieren: Ja, auch ich bin woke. Genau der Gedanke steckte dahinter, wobei ich über den Begriff "Strichmännchen" bis zu dem Zeitpunkt, als ich damit angefangen habe, nie groß nachgedacht habe. Mir war überhaupt nicht richtig klar, dass das ein Geschlecht bezeichnet, sondern das war für mich zunächst einmal die Bezeichnung für diese Art zu zeichnen. Irgendwann ist mir klar geworden, dass da eine Geschlechterbezeichnung drinsteckt und ich meinen Figuren eigentlich gar kein Geschlecht zuordnen möchte. Da war Strichmensch der für mich passendere Begriff.
Das ganze Gespräch können Sie hier hören. Es führte Juliane Bergmann.