Grenzlandmuseum Bad Sachsa: Ohne Ehrenamtler geht nichts

Stand: 18.03.2024 06:00 Uhr

Wie war es, an der Grenze zwischen Freiheit und Diktatur zu leben? Dass Besucher dies nachvollziehen können, verdankt das Grenzlandmuseum in Bad Sachsa seinen Ehrenamtlichen. Doch weil Freiwillige fehlen, droht nun die Schließung.

von Ralf Dörwang

Uwe Oberdiek steht im Grenzlandmuseum Bad Sachsa und greift an den Draht eines Stacheldrahtzaunes - sofort ertönt ein greller Warnton, der auch nicht abebbt, während er routiniert erklärt: "Was wir hier haben ist die Grenzsignalzaunanlage 80. Es dürfte die letzte in Deutschland sein, die noch funktionstüchtig ist. Wir können mit dieser Signalzaunanlage tatsächlich den Zustand simulieren, wenn Menschen versucht haben, über diesen Sperrzaun zu klettern. Wer dann, wenn er aufgefordert wurde, stehen zu bleiben, das nicht gemacht hat, der setzte sein Leben ein." 

Wie war es, hier zu leben, an der Grenze zwischen Freiheit und Diktatur? Dass wir das heute so nachvollziehen können, verdanken wir ausschließlich Ehrenamtlichen. Sie gründeten das Museum am Südrand des Harzes, trugen Dokumente und Relikte zusammen. Es geht um Dinge wie beiderseitige Überwachung, Minen, Stasiunterlagen und Karten mit gescheiterten Fluchtversuchen. Das Problem ist nur: Es fehlen Freiwillige, die diese Museumsarbeit weiter leisten können. 

Fehlende Freiwillige: Muss das Grenlandmuseum Bad Sachsa schließen? 

Deshalb jetzt ein bitterer Entschluss: "Dieses fehlende Personal, diese mangelnde Perspektive, die ist es, die uns dazu bewogen hat, der Mitgliederversammlung schweren Herzens den Vorschlag zu unterbreiten, das Museum zu schließen und den Förderverein aufzulösen", erklärt Oberdieck, der das Haus ehrenamtlich leitet.  

Der Hilferuf aus dem Museum setzt das Rathaus unter Druck. Denn der Bürgermeister von Bad Sachsa will auf das Museum keinesfalls verzichten. "Das steht gar nicht zur Debatte, aus Sicht des Rates und der Stadt, dass das Museum geschlossen wird", versichert Daniel Quade. "Denn für Bad Sachsa ist es geschichtlich ein ganz wichtiges und bedeutendes Museum, hier direkt an der innerdeutschen Grenze. Gerade die Werte Freiheit und Demokratie, die kann man heute nicht genug hervorheben. Von daher ist kein einziger Gedanke daran verschwendet worden, das Museum dauerhaft zu schließen." 

VIDEO: Bad Sachsa: Erstes Grenzlandmuseum vor dem Aus (4 Min)

Bürgermeister bringt Museum ohne Personal ins Spiel

Bad Sachsa zeigt das generelle Problem: Viele Kommunen brauchen die Ehrenamtlichen, um wichtige Dienste wie solche Erinnerungsarbeit anbieten zu können. Für Festangestellte fehlt das Geld. Der Bürgermeister überlegt sogar, das Grenzlandmuseum ohne betreuendes Personal zu betreiben - frei zugänglich. "Dort ist schon viel digitalisiert, aber, wenn man das Restliche auch noch so umrüstet, dass sich der Gast frei bewegen kann, dann ist sowas natürlich auch eine Überlegung. Ob man das dann Museum oder Ausstellung nennt, ist eine andere Frage. Unsere Sichtweise ist, dass so ein Museum auch so funktionieren kann."  

Uwe Oberdieck im Porträt © Screenshot
"Fehlendes Personal, mangelnde Perspektive." Uwe Oberdiek leitet das Grenzlandmuseum Bad Sachsa.

Uwe Oberdiek vom Grenzlandmuseum sieht die Sache anders: "Diese Idee, einen Ort zu schaffen, den sich ein Besucher selbst erschließen kann, dem würde ich dem Bereich eines politisch-historischen Museums absprechen. Weil es das ursprüngliche Problem des mangelnden Personals in diesem Museum nicht beseitigen würde. Denn auch eine Ausstellung, die man über ein Drehkreuz erreicht, muss von Menschen konzipiert sein."

Doch woher nehmen? Auch bei Feuerwehr und Sportvereinen sinkt die Zahl der Ehrenamtlichen. Es engagieren sich noch viele, aber es reicht einfach nicht für die Fülle der Aufgaben. Eine Straßenumfrage in Bad Sachsa zeigt: Man findet sie, die Ehrenamtler. Doch eine Passantin bringt auch auf den Punkt, was gegen ein Engagement spricht: "Wenn man voll berufstätig ist, Haus, Kind und Hund zu versorgen hat, muss schon noch Zeit bleiben. Man will auch noch Mensch sein, für sich selbst." 

Ehrenamtlicher Leiter: Eigentlich bräuchte es einen Festangestellten

In dem eher kleinen Grenzlandmuseum ist viel zu tun - zum Beispiel die aufwendigen Interviews mit den letzten Zeitzeugen zu führen, die sonst verloren gehen. Andere Aufgaben, die immer anstehen: Das Gebäude instandhalten, die Bücher führen oder historische Zusammenhänge recherchieren. Eigentlich bräuchte das Grenzlandmuseum mehr Ehrenamtliche - und einen Festangestellten, meint der Leiter.  

"Sie müssen sich mal darauf einstellen, mal eine Woche nach Weimar zu fahren, in das thüringische Hauptstaatsarchiv, um die entsprechenden Unterlagen anzuschauen", so Oberdieck. "Sie müssen vielleicht auch nach Berlin fahren, weil da die Unterlagen sind, oder sich in Nordhausen im Kreisarchiv tummeln. So kommen Stunden über Stunden, oder ich möchte sagen, Tage und Wochen zusammen, die im Ehrenamt für solche Aufgaben erbracht werden müssen. Ich glaube, das wird unterschätzt." 

Im April will der Stadtrat über die Zukunft entscheiden. Ob Ehrenamtliche oder auch Festangestellte - das Grenzlandmuseum braucht Betreuung, das sollte es wert sein. 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 18.03.2024 | 22:45 Uhr

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