Gewalt gegen Frauen: Ein strukturelles Problem
Jede vierte Frau erlebt Gewalt in der Partnerschaft. Die Anwältin Asha Hedayati will das Thema aus dem Privaten herausholen und die strukturelle Gewalt gegen Frauen öffentlich machen. Es müsse mehr darüber gesprochen werden.
"Gewalt gegen Frauen geht durch alle sozialen Schichten und Milieus", sagt Hedayati. Allen Frauen gemeinsam sei, dass sie es schwer haben aus der Partnerschaft rauszukommen und das liege auch an den Strukturen und Widerständen, die sie erfahren. "Das macht mich wütend", sagt die Anwältin. Aber aus dieser Wut ziehe sie auch die Kraft für ihre Arbeit. Asha Hedayati ist auf Familienrecht, Mediation und Ausländerrecht spezialisiert. In ihrer Kanzlei vertritt sie vor allem Frauen, die sich aus einer gewalttätigen Beziehung lösen. Beim Thema Gewalt in Partnerschaften sehe sie eine Entwicklung. "Es wird mehr darüber gesprochen", sagt sie. In der familiengerichtlichen Praxis sehe sie allerdings wenig Veränderung. Sie hofft, dass sich durch den gerade entstehenden gesellschaftlichen Druck etwas ändert.
Wahl zwischen Gewalt und Armut
Asha Hedayati hat ein Buch veröffentlicht - einen Bestseller: "Die stille Gewalt - wie der Staat Frauen allein lässt". Mit "stiller Gewalt" sei nicht die Gewalt des Partners oder Ex-Partners gemeint. "Die männliche Gewalt ist laut", sagt Hedayati. "Wir würden sie hören, wenn wir als Gesellschaft gut hinhören würden." Sie meine mit "stiller Gewalt" die Strukturen, die Gewalt begünstigten. Wenn Frauen in einer gewalttätigen Partnerschaft seien, müssten sie sich allein daraus befreien. Sie würden oft allein gelassen. "Ich habe Mandantinnen und zwar sehr viele, die sitzen bei mir im Beratungsgespräch und wenn sie über die Trennung entscheiden, haben sie quasi nur die Wahl zwischen Gewalt oder Armut." Es gebe wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse in diesen Partnerschaften. Frauen fänden keinen bezahlbaren Wohnraum. Diese Widerstände machten eine Trennung schwer.
Psychische Gewalt erschwert Trennung
"'Warum trennt sie sich denn nicht?' Diese Frage ist falsch gestellt. Wir müssen uns fragen: 'Warum beginnt er mit der Gewalt, warum hört er nicht auf und warum schafft der Staat es nicht, diese Gewalt zu beenden?'", betont Hedayati. Es sei besonders schwer, aus einer Beziehung rauszukommen, wenn in der Partnerschaft psychische Gewalt geherrscht habe. "Gewalt entwickelt sich. Meistens beginnen die Beziehungen sehr schön", erklärt die Anwältin. Wenn es dann zu Gewalt komme, nach Monaten oder auch nach Jahren, klammerten sich Betroffene an die schöne, erste Zeit und denken, die gute Zeit kommt zurück. Permanente Abwertungen durch den Partner seien ein Warnzeichen. Betroffene würden sich dann selbst nicht mehr ernst nehmen. Ebenso sei es problematisch, wenn ein Partner isolieren wolle, wenn er beispielsweise verhindere, dass sie Kontakt nach außen hat.
Problematisches Männlichkeitsbild eine Ursache von Gewalt
Die Gewalt habe verschiedene Ebenen. Die Anwältin sieht problematische Männlichkeitsbilder als eine Ursache dafür. Männlichkeit sei immer noch ein Synonym für Macht, Dominanz und Kontrolle. Junge Männer wüchsen in diesem Klima auf. "Da müssen wir ansetzen bei der Prävention", betont Hedayati. Außerdem seien Männer und Frauen immer noch nicht gleichgestellt. "Es gibt einen Gender-Care-Gap, einen Gender-Pay-Gap, weiblich typisierte Jobs, die unheimlich schlecht bezahlt sind." Das schaffe einen Raum in dem Männer diese Anspruchshaltung entwickelten und Frauen seien dadurch immer noch wirtschaftlich abhängig - ein Problem in jeder Alterstufe.
Ab einem bestimmten Alter trennen sich Frauen nicht mehr von ihren Männern, weil sie dann verarmen und praktisch nie wieder aus der Armut rauskommen würden. Jüngere seien in der Teilzeitfalle, weil sie die Kinder versorgten. "Es ist total klar, dass sie das tut, dass die Kinder nicht paritätisch betreut werden", analysiert Hedayati. Die Gewalt gehe durch alle Schichten, dennoch seien Frauen mit Migrationshintergrund häufiger gefährdet. Viele seien schlechter geschützt - Geflüchtete beispielsweise, die ein kleineres soziales Netzwerk haben und unter prekären Verhältnissen arbeiten.
Beratungsstellen gute erste Adresse
Hedayati vertritt vor allem Frauen, die sich scheiden lassen wollen, in Beziehungen, in denen es gemeinsame Kinder gibt. "Da kommen wir zu dem ganz großen Problem, dass die Familiengerichte - gerade bei Kindschaftsverfahren - Partnerschaftsgewalt viel zu wenig ernst nehmen und die Betroffenen in den Kontakt zum gewalttätigen Ex-Partner drängen." Wer in einer Partnerschaft Gewalt erfährt, kann sich deutschlandweit an ein Netz aus Beratungsstellen wenden. "Die sind eine gute erste Adresse", sagt die Anwältin. Beratungsstellen vermitteln an Anwälte und Betroffene könnten mit ihrer Hilfe Strafanzeige stellen.
Täter-Opfer-Umkehr bei sexualisierter Gewalt
Die Anwältin rate ihren Mandatinnen nicht immer zur Strafanzeige. Es komme dabei oft zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Frauen erlebten retraumatisierende Momente. Sie würden beispielsweise gefragt, welche Kleidung sie trugen als sie sexualisierte Gewalt erfuhren, was sie getrunken haben oder warum sie nicht früher gegangen sind. "Das sind Momente, die für die Betroffenen schwer auszuhalten sind", erklärt Hedayati. "Ich muss auch schauen, dass meine Mandantinnen gesund bleiben, weil die eh schon mit so viel zu kämpfen haben." Wer einen Anwalt braucht, könne Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nehmen, allerdings seien die Gebühren gedeckelt. "Das schafft ein Ungleichgewicht vor Gericht", bemängelt Hedayati.
Im Frauenhaus verlieren die Opfer, nicht die Täter
"Es ist immer das erste, was gesagt wird: 'Wenn Du von Gewalt betroffen bist, dann musst Du jetzt ins Frauenhaus gehen!' Was dabei nicht gesagt wird ist, dass die Betroffenen sehr viel verlieren, wenn sie in ein Frauenhaus gehen", erzählt Hedayati. Sie verlieren ihr soziales Netz, müssen häufig weit weg ziehen, Kinder aus Betreuungseinrichtungen nehmen und eventuell ihren Job wechseln. "Sie werden zwar nicht getötet, verlieren aber dennoch ihr Leben", spitzt die Anwältin zu. Was sicherlich in manchen Situationen nötig sei, könne nicht die einzige Präventionsmaßnahme sein. "Die Frauen verlieren. Der Täter muss seinen Radius nicht verkleinern, aber auf den schauen wir nicht. Sie soll sich ja schützen und ihr Verhalten so anpassen, dass sie keine Gewalt mehr erfährt", sagt sie.
Die Opferschutzorganisation Weißer Ring fordert, dass die Täter Fußfesseln tragen. Opfer von Gewalt könnten damit auf dem Smartphone gewarnt werden, wenn ein Täter sich ihnen nähert. Vorbild sei Spanien. Hedayati möchte früher ansetzen. "Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die weniger traumatisch ist", sagt sie. Sie möchte dass die Gesellschaft dafür sorgt, dass Männer nicht mehr gewalttätig werden. Auch Männer leiden unter Gewalt. Meist werde die aber von Männern ausgeübt. Die strukturelle Gewalt, wie es sie gegen Frauen gebe, gebe es gegen Männer nicht.
Familiengerichte sollen Tätern Täterarbeit auferlegen
"Wir wissen, dass Kinder, die Partnerschaftsgewalt miterleben, später im Leben ein viel größeres Risiko haben, selbst Täter oder Opfer zu werden. Wenn wir wirklich echte Prävention wollen, dann müssten wir bei den Jüngsten ansetzten", fordert Hedayati. Familiengerichte müssten Kinder besser vor den Tätern schützen. Die Anwältin mahnt außerdem an, dass mehr über die Männer gesprochen werden sollte. "Familiengerichte müssen den Tätern Täterarbeit auferlegen. Die Täter müssen an sich arbeiten."