Corona-Hilfen für die Kultur in MV: "Das Gröbste wurde abgepuffert"

Stand: 17.01.2023 07:11 Uhr

Hendrik Menzl vom Servicecenter Kultur und die Vorsitzende des Künstlerbundes Mecklenburg und Vorpommern Anne Hille blicken auf die Hilfsprogramme während der Corona-Pandemie zurück.

von Carolin Kock, Lenore Lötsch und Siv Stippekohl

Auch Mecklenburg-Vorpommern hat gleich am Anfang der Pandemie Geld für die Kultur bereitgestellt: "Das Land hat schnell gehandelt und zusammen mit dem Bund unter großem Mitteleinsatz dafür gesorgt, dass in der Kulturlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern keine Leerstellen entstehen", heißt es aus dem Kulturministerium. Bis heute seien die Besucherzahlen nicht wieder auf das Vorkrisenniveau gestiegen.

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Rückblick: Anfang April 2020 hatte die damalige und heutige Kultusministerin Bettina Martin (SPD) 20 Millionen Euro aus dem MV Schutzfond angekündigt. Bis September 2022 waren davon knapp zehn Millionen Euro ausgezahlt, vor allem zur "Unterstützung für Kultureinrichtungen, Kunst und Kulturschaffende". Die vorläufige Bilanz zum Stichtag 31. Dezember 2022: Fast 13 Millionen Euro aus dem Schutzfond sind bewilligt worden. Von 2.141 gestellten Anträgen wurden 1.876 positiv bescheiden. Knapp drei Millionen Euro gingen davon als Überbrückungs-Stipendien an Künstlerinnen und Künstler.

"Das Gröbste wurde abgepuffert und das Schlimmste verhindert"

Hendrik Menzl vom Servicecenter Kultur hat während der Pandemie die Kunst- und Kulturschaffenden über alle Fördermöglichkeiten beraten. Vor allem, als im Laufe der Pandemie mehr Programme dazu kamen, stieg auch die Verwirrung seiner Kundschaft. 

"Das war erstmal ein bisschen unübersichtlich und wir hatten natürlich sehr viele Anfragen und von Künstlerinnen und Künstlern direkt", erzählt Menzl. "Aber auch Vereine und Kultureinrichtungen haben sich dann verstärkt gemeldet, weil das einfach ein sehr großes Bouquet an Fördermöglichkeiten war." Insgesamt zieht Menzl ein positives Fazit: "Dafür, dass Corona eigentlich erst im Januar oder Februar 2020  in Deutschland angekommen ist und im April diese ganzen Hilfen schon am Start waren, kann man sagen: Das war eine extrem arbeitsreiche Zeit für alle, die damit zu tun hatten. Aber das Gröbste wurde abgepuffert und das Schlimmste verhindert."

Unterschiedliche Hilfen und Programme 

So vielfältig die Kunst- und Kulturszene im Land ist, so unterschiedlich waren auch die verschiedenen Hilfen und Programme. Der Schutzfonds Kultur mit insgesamt sieben verschiedenen Säulen war ergänzend gedacht, für "Wirtschaftshilfen, die auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft zugänglich waren; Erleichterungen der Künstlersozialkasse und der sozialen Sicherungssysteme, von denen Soloselbständige profitierten; Sonderhilfen für Kinobetreiber; Sonderfonds für Kulturveranstaltungen usw." Das teilte ein Sprecher aus dem Kulturministerium schriftlich mit. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass die Hilfen alle Kulturbereiche erreicht haben. Kulturträger könnten auch weiterhin auf den Schutzfonds zählen, zur Kofinanzierung von Bundesmitteln. Zumal der Bund seine Neustart-Kultur-Hilfen in das laufende Jahr hinein verlängert habe.  

"In Anbetracht des Ausmaßes der Krise sind wir gut durchgekommen"

Während Freie Theaterschaffende im Land Hilfen beantragten, waren Bühnen wie das Mecklenburgische Staatstheater weder für den Schutzfonds des Landes noch für das Bundesprogramm "Neustart Kultur" überhaupt antragsberechtigt. Für 2020/2021 hat das Theater allerdings 300.000 Euro aus den so genannten November- und Dezemberhilfen für mittelständische Unternehmen erhalten. Und: Insgesamt 1,2 Millionen Euro Kurzarbeitergeld, "zuletzt tatsächlich im Februar 2022, da wir das Haus schließen mussten", sagt Christian Schwandt, der Kaufmännische Geschäftsführer. Er lobt die Unterstützung von Land und Bund ausdrücklich: "In Anbetracht des Ausmaßes dieser Krise sind wir sehr gut durch sie durchgekommen". Auch für das Volkstheater Rostock war "das wichtigste Instrument, die Corona-Zeit zu bewältigen" das Kurzarbeitergeld, das 2020 ebenso wie im ersten Halbjahr 2021 und Anfang 2022 gezahlt wurde, teilte das Haus mit.  

Herausfordernde Zeiten für die Theater

Malte Bähr posiert vor einer alten Fabrikhalle. © Joerg Metzner
Malte Bähr ist Kaufmännischer Geschäftsführer der Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz.

Die Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz lobt ebenso, durch das Kurzarbeitergeld habe man die Pandemie-Jahre wirtschaftlich gut überstehen können. "Herausfordernd werden die kommenden Jahre durch die erheblichen Sprung im Mindestlohn sowie Tarif- und Kostensteigerungen", meint der Kaufmännische Geschäftsführer Malte Bähr. Wo Rücklagen durch das zeitweilige Erliegen des Spielbetriebes aufgebaut werden konnten, heißt es auch von den anderen Bühnen, würden die schnell wieder aufgebraucht. Dankbar für die Unterstützung auch der Gemeinden zeigt sich Peter van Slooten, Kaufmännischer Geschäftsführer des Theater Vorpommerns: "Das Fehlen eines analogen Kulturerlebnisses hat deutlich gemacht, wie wichtig die kulturellen Institutionen in der Gesellschaft sind." 

"Das war erstmal ein ziemlicher Schnitt"

Matthias Bargholz in seinem Atelier. © NDR
Der Maler und Grafiker Matthias Bargholz hatte irgendwann "die Nase voll" von den Corona-Hilfen.

Von Rücklagen können die meisten freischaffenden Künstler nur träumen. Im Gegenteil. Der Maler und Grafiker Matthias Bargholz ist nachdenklich. "Das war erstmal ein ziemlicher Schnitt", erzählt er. Die Situation auch befreundeter Musiker und Schauspieler sei dramatisch gewesen. Als Ausstellungsmöglichkeiten wegfielen und auch Malkurse in seinem Atelier in Drönnewitz-Wittendörp in der Schaalseeregion nicht mehr stattfinden konnten, beantragte er im Frühjahr 2020 eine Soforthilfe und musste später zurückzahlen, was nicht als Betriebskosten nachweisbar war. Bis heute ist das für ihn unverständlich. "Ich hatte noch das Glück, dass ich als bildender Künstler Rechnungen für Materialien abrechnen konnte." Später habe er auch über die Beantragung eines Stipendiums nachgedacht, es dann "als gebranntes Kind" aber gelassen, weil er "auf Deutsch gesagt die Nase voll hatte von diesen Hilfen."

Hilfen nicht als Unterstützung des Lebensunterhalts gedacht 

Anne Hille hat sich während der Pandemie viel mit den Fördermöglichkeiten für bildende Künstlerinnen und Künstler auseinandergesetzt. Die Vorsitzende des Künstlerbundes Mecklenburg und Vorpommern im Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler erwähnt auch die Schwierigkeit, dass es bei den Corona-Hilfen oft darum ging, laufende Kosten zu decken und weniger darum, Unterstützung zum Lebensunterhalt zu geben. Trotzdem fielen in der bildenden Kunst natürlich auch laufende Kosten für Ateliers, Transporte oder Material an. 

Bildende Künstler: Unterschiedlich gut durch die Krise gekommen 

Hille sagt: "Für viele Künstler, für die es überhaupt schwierig ist, sich über Wasser zu halten, war es nicht einfach, überhaupt zu wissen: fassen die ersten Corona-Hilfen? Bin ich überhaupt antragsberechtigt? Und wo kann ich noch andere Hilfen oder Stipendien beantragen? Nicht jede Förderung war für jeden Künstler geeignet."

"Bildende Künstler sind auch Überlebenskünstler"

Was Hille während der Krise einmal mehr beobachtet hat: "Bildende Künstler sind auch Überlebenskünstler und es insofern gewohnt, sich über Wasser zu halten. Man hängt nicht gleich bei den ersten Problemen seinen Job an den Nagel, auch weil es tatsächlich nicht nur ein Job, sondern eine Berufung ist, wenn man sich entscheidet, bildender Künstler zu werden." Ihre Kolleginnen und Kollegen seien ganz unterschiedlich durch die Krise gekommen. "Es gab Künstler mit anderen Einnahmequellen, die beispielsweise auch in der kulturellen Bildung tätig sind. Oder vielleicht auch einen Lebenspartner haben, der gut verdient. Aber es gibt natürlich auch viele, die wirklich zu knapsen haben."

Künstlerstipendien: "Ein sehr unbürokratisches Verfahren"

Was in Mecklenburg-Vorpommern auf jeden Fall geholfen habe, seien die Künstlerstipendien, die ausgelobt wurden. "Wir sind sehr froh, dass es dieses Überbrückungsstipendium gegeben hat”" so Hille. "Das war ein sehr unbürokratisches Verfahren." Sie sagt aber auch: "Viel wichtiger als Almosen oder Stipendien ist, dass wir in Zukunft eine faire Ausstellungsvergütung für Künstler und Künstlerinnen umsetzen."

Und noch eine andere Sache ist Hille wichtig: "Ich glaube, was in der Corona-Krise deutlich wurde, ist, wie wichtig Kunst und Kultur für unseren menschlichen Zusammenhalt sind. Kunst ist nicht nur die Dekoration auf der Torte, sondern essentiell. Und dafür ist es wichtig, dass Menschen Ausstellungen besuchen und auch bereit sind, Geld dafür auszugeben."

Neue Wege für die Kunst 

Der Künstler Matthias Bargholz erzählt, Galerien verlangten neuerdings erhebliche Summen für Ausstellungen oder Ausstellungsbeteiligungen von den Künstlern. "Positiv finde ich, dass sich im Internet neue, internationale, sehr professionelle Online-Galerien gegründet haben". Einige Werke hat er mittlerweile auf diesem Wege verkaufen können. Die Pandemie war für ihn künstlerisch auch eine sehr produktive Zeit. Sein Wunsch ist nun: "Es müssten wieder mehr Ausstellungen stattfinden, es müsste mehr Publikum kommen." Das wäre wichtig, um Kunst und Kultur zu unterstützen.  

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 16.01.2023 | 19:00 Uhr

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