Rezepte aus Bachs Zeiten: Von exotisch schillernd bis schlicht köstlich
Was waren zu Johann Sebastian Bachs Zeiten die kulinarischen Spezialitäten und wie wurden sie zubereitet? Der Ernährungswissenschaftler Kay-Henner Menge hat in barocken Kochbüchern recherchiert - und Gerichte nachgekocht.
Kartoffeln gehörten nicht zu den Grundlagen damals. Dafür Brei als Beilage. Und beliebt: Artischocken und Parmesan. Was aß man im Leipziger Haus der Familie Bach an der Thomaskirche? Wer kochte mit welcher Ausrüstung? Welche Zutaten gab es in den Gärten und auf den Märkten? Zusammen mit Ernährungswissenschaftler Kay-Henner Menge hat NDR Kultur Moderator Mischa Kreiskott Gerichte aus der Bach-Zeit nachgekocht: Von "Bartholomäisch Böuf" mit Johannisbeeren-Brühe über Schmorgurken-Suppe mit Parmesan bis hin zu Artischocken mit Erbsen und einer Brot-Butter-Brühe. "Schmauset frohlockend!"
Es brodelt, es dampft, es brennt, es kokelt. Das Kochen war im deutschsprachigen Europa des 18. Jahrhunderts eine feurige Angelegenheit. Die Küche mit offenem Ofen war der zentrale Ort des bürgerlichen Hauses. Sie musste halb im Keller liegen - man brauchte schließlich dessen Kühle für die Vorräte - gleichzeitig sollte sie bloß nicht zu dunkel sein. Etwas Licht gäbe dem "Küchengesinde mehr Lust zum Kochen und Arbeiten", Finsternis hingegen "eröffne zu viele Diesbeslöcher und Verstecke für allerlei Wust", also wertvolle Zutaten, die die Dienstboten beiseiteschaffen könnten. So steht es, für uns heute etwas umständlich, im Hausbuch der Maria-Sophia Schellhammer, das 1692 in erster Auflage in Braunschweig erschienen ist. Zu Johann Sebastian Bachs Zeiten war es ein Standardwerk über die Führung des bürgerlichen Haushalts und Rezeptbuch für "alle Speisen, die so nur in Teutschland bekannt seyn mögen."
Barockes Kochbuch: Rezepte für die "wol unterwiesene Köchinn"
Der vollständige Titel wirkt auf uns heute kurios ungelenk: "Die wol unterwiesene Köchinn. Das ist: Unterricht, wie man alle Speisen, so nur in Teutschland bekant seyn mögen, aufs füglichste zubereiten." Der Untertitel: "Schmakhafte Suppen, Potagen, Pasteten, Tarten und allerhand Gebakkenes machen, nach der jetzt üblichen Art auftragen und anbringen, auch Fleisch, Fische, Gartenfrüchte und andere Sachen, wol einmachen, dürren oder verwahren solle, samt vielen bisher wenig bekanten Kunstgriffen, so in der Koch-Kunst ihren sonderbaren Nutzen haben."
"Die Schellhammer" - im deutschsprachigen Raum hat diese Anrede damals etwas Vornehmes - wendet sich mit ihrem Buch an die "tugendhaften und häuslichen Frauenzimmer." Die Männer, schreibt sie, überließen den Hausfrauen, mit mal löblichen, mal fragwürdigen Absichten, die Arbeit im Haus.
Dienerinnen halten die bürgerlichen Küchen am Laufen
Dienstboten zu beschäftigen ist völlig üblich in der damaligen Welt. Diese Dienerinnen kochen die Mahlzeiten, bedienen, putzen und schlafen nachts mit der Restwärme des Herds auf dem Boden der Küche. Das Feuer darf nie ausgehen. Zündhölzer gibt es noch nicht.
Gleichzeitig kennt Maria-Sophie Schellhammer nur Spott für solche höher stehenden Damen, die ausschließlich repräsentieren und vom eigentlichen Kochen und Gastgeben keinen Schimmer haben. Diese "zeigten ihr zartes Gesicht lieber denen fürbeispatzierenden am Fenster" und ließen sich von ihren Untergebene hinters Licht führen. Auch wenn Kochen damals "Hausfrauensache" war, gab es hochgeachtete Expertinnen, die man mit den heutigen Spitzenkräften der gehobenen Gastronomie vergleichen kann. Eine von ihnen: Susanna Eger.
Susanna Eger: Eine Meisterköchin des Barock
Die Leipziger Krämerstochter Susanna Eger (1640-1713), genannt "Die Egerin", wurde früh Witwe und war damit gezwungen, sich selbst zu versorgen. Sie machte im Sachsen des 17. Jahrhunderts bald Karriere als angesehene, professionelle Köchin für die gehobenen bürgerlichen Kreise. In ihrem Leipziger Kochbuch lehrt sie:
Was man auf seinem täglichen Tisch, bey Gastereyen und Hochzeiten, gutes und delikates auftragen, auch Tische und Tafeln, mit Speisen zierlich besetzen könne, vorgestellet. aus dem "Leipziger Kochbuch" von Susanna Eger
Hier finden sich einige Rezepte, die wir heute ungewöhnlich finden: Biberschwanz zum Beispiel oder Singvögel wie Lerchen und Drosseln, die mit Speck auf Spieße gesteckt und gebraten wurden. In Leipzig galten sie damals als Delikatessen. Der Hintergrund: Dieses Kleingefieder zu jagen war auch Bürgern erlaubt.
Tomaten und Paprika: In Nordeuropa damals noch unbekannt
Daneben stehen viele Gerichte, die man heute noch schlicht köstlich finden würde. Vielfältige Arten von Pasteten, aufwendig marinierte Braten und ein reiches Repertoire an Gemüse. Erstaunlich ist die Wahl der Zutaten: Tomaten und Paprika gibt es in Nordeuropa noch nicht, Artischocken hingegen wachsen in Leipziger Gärten und werden gern zubereitet. Die Kartoffel wird in Mitteldeutschland als Zierpflanze gezüchtet, ist in der Küche aber noch ein Exot. Die Egerin experimentiert mit der sättigenden Knolle und liefert erste Rezepte.
Man isset aber diese Tartuffeln theils vor Lust und Veränderung, theils als eine nährende Speise, weil sie nunmehr gemein bey uns werden. aus dem "Vollständigen Küch- und Keller-Dictionarium" von Paul Jacob Marperger (1716)
Auch in den bürgerlichen Kreisen Leipzigs ist man fasziniert von exotischen Gewürzen, die insbesondere die Niederländer von ihren Kolonien nach Europa verschiffen. Muskat, Ingwer, Zimt, Nelken - die Rezepte der Susanna Eger schmecken exotisch und schillernd. Auch Zitrusfrüchte bringen die Lemonihändler regelmäßig vom Gardasee über die Alpen.
Während die Alltagsküche im Hause der Bachs in erster Linie aus nährenden Breien bestanden haben mag, zeigte man an Feiertagen mit aufwendigen Zubereitungen, welchen Stand man hatte. Dabei bogen sich die Tische: Menüfolgen gab es noch nicht, Suppen, Klöße, Breie, Braten, Fruchtsoßen, Gemüse - alles kam gemeinsam auf die lange Tafel.