Singen hält jung: Doku über den Ü70-Chor "Heaven Can Wait"
Obwohl alle Mitglieder des Hamburger Chors "Heaven Can Wait" schon über 70 sind, singen sie eine wilde Mischung aus Hits von Fettes Brot bis Deichkind. Der Dokumentarfilm "Heaven Can Wait - Wir leben jetzt", eine NDR Koproduktion, steht in der ARD Mediathek.
"Ich bin hier, ich bin frei. Ich bin hier, ich bin frei", singt der Chor den Juli-Song "Perfekte Welle" im Dokumentarfilm von Sven Halfar. Endlich frei sein: Das fühlen viele im Chor. In der Nachkriegszeit groß geworden, ging es in ihrem Leben oft um Disziplin und nicht um Selbstverwirklichung. "Natürlich wäre das schön gewesen, sich viel früher zu emanzipieren", sagt Moni. "Natürlich wäre das schön gewesen, viel früher zu sagen: Ich will Sängerin werden und mein Leben lebe ich jetzt." Als sie den Song performt haben, musste sie weinen und von der Bühne runtergehen. "Es war auch mein Gefühl gewesen. Jetzt bin ich endlich frei. Jetzt kann ich endlich das tun, was ich schon mein Leben lang tun wollte."
Diese Energie steckt an. "Ich ging da rein und es machte 'bamm'", sagt Regisseur Sven Halfar. "Die Bühne ging auf und da standen Rentner vor mir. Dann erklang die erste Musik und es war sofort vom ersten Moment an so eine krasse Stimmung, auf die ich null vorbereitet war."
Lieder bekommen aus dem Mund der Alten eine neue Bedeutung
Im Chor wird ein Refrain geprobt: "Bass, Bass, wir brauchen Bass. Sicher, Digger." Sie sind zwar Oldies, aber angestaubte Oldies singen, kommt gar nicht in Frage. Es sind die Songs ihrer Enkel von Sarah Connor und Mark Forster, mit denen sie den Saal rocken. Die Liedauswahl trifft Chorleiter Jan-Christof Scheibe. "Für mich ist das ganz spannend, weil ich immer auf der Suche nach Liedern bin, die von jungen Leuten gesungen werden, die aber aus dem Mund eines älteren Menschen eine neue Bedeutung bekommen.", sagt Scheibe. "Da gibt es so Funde wie 'Sie ist weg' von den Fantastischen Vier. Das passt super zu einem älteren Menschen, weil du eben auf einmal Sachen assoziierst, die du mit einem 25-Jährigen nie assoziieren würdest. Das Thema Tod zum Beispiel."
Es ist nie zu spät für die Selbstverwirklichung
Auf der Bühne steht Volker Busenbinder und singt "Wow, I feel good. I knew that I would now". Das ist inzwischen sein Motto: "Ich will Spaß haben, ich will das Leben noch genießen, ich bin im letzten Jahrzehnt und ich lasse nichts aus." Mit diesem Lied kann Busenbinder zeigen, was ihn ihm steckt: "Meine Frau hat immer gesagt, du bist ein Kieler Kaltblut, du kannst ja keine Emotionen zeigen, das wollen wir heute mal sehen."
Jan-Christof Scheibe ermutigt seine Chormitglieder, etwas zu wagen. "Es gibt hier kein falsch", sagt er, "je mehr ihr da reingeht, desto mehr erfahrt ihr über euch."
Gefühle zeigen auf der Bühne erforderte anfangs Mut - auch das üben sie gemeinsam. Der Chorleiter ist stolz auf seine Sänger*innen: "Da gehen die einfach mutig rein und singen Songs, die sie noch nie gehört haben. Das gibt mir totale Hoffnung für mein Älterwerden, weil ich denke: okay, es gibt verschiedene Arten, alt zu sein. Es gibt diese Blasen-Alten, die sich dann so abschließen und sagen: 'Früher war alles besser, und ich verstehe die Jugend nicht mehr, und ich kann mein Handy nicht bedienen.' Und dann gibt es jüngere Ältere, die einfach sagen: 'Ich interessiere mich dafür, ich öffne mich dem, und ich nehme auch Dinge heraus, die ich in meinem Leben benutzen kann.'"
Das Singen im "Heaven Can Wait"-Chor macht jung
Regisseur Sven Halfar hatte für seinen Film immer eine Vision: "Ich wollte einen Film machen, wo man rauskommt und man sagt: Ich will mein Leben in die Hand nehmen. Ich will noch leben. Ich weiß, das kann zu Ende sein", erklärt Halfar. Er wünscht sich, dass Menschen den Chor auch als Vorbild sehen und sagen "geil, wenn ich alt bin, singe ich auch in dem Chor und ich genieße mein Leben."
Der Chor selbst lebt dieses Motto schon längst. Jan-Christof Scheibe beobachtet das vor allem bei den Auftritten: "Die schaffen es wirklich bei unseren Konzerten im Moment zu sein. Einfach zu sagen: Ich singe jetzt. Natürlich hab ich Schulter und irgendwie Magen und was man so alles hat an Gebrechen. Das bleibt ja nicht aus im Alter. Aber für die zwei Stunden sind die tatsächlich wieder 25."
Bereits erste Auszeichnung erhalten
"Heaven Can Wait - Wir leben jetzt" ist ein mitreißender Film über einen großartigen Chor. Und: Er macht Mut, alt zu werden. Beim Filmfest Hamburg hat der Film bereits einen Preis abgeräumt: den mit 5.000 Euro dotierten Publikumspreis.