Emma Stone (Bella Baxter) steht in schwarzem Outfit in einer verschneiten Landschaft vor einem grünen Haus - Szene aus "Poor Things" © Searchlight Pictures

"Poor Things": Bizarr-lustige Frankenstein-Komödie mit Emma Stone

Stand: 11.03.2024 08:00 Uhr

Wie könnte sich eine Frau entwickeln, wenn sie weder Scham noch gesellschaftliche Konventionen kennt? Für ihre Rolle hat Emma Stone den Golden Globe und den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen. Der Film wurde zudem in drei weiteren Kategorien ausgezeichnet.

Emma Stone und Mark Ruffalo in einer Szene aus dem Film "Poor Things" © Atsushi Nishijima/023 20th Century Studios /Filmfest Venedig/dpa
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von Walli Müller

Der Film beginnt in Schwarz-Weiß - mit Szenen aus Frankensteins Horror-Labor, wie sie vor 100 Jahren ein Stummfilm-Meister geschaffen haben könnte. Willem Dafoe spielt mit grotesk vernarbtem Gesicht Dr. Godwin Baxter, eine Koryphäe der Medizinwissenschaft im viktorianischen England. In seinem privaten Experimentierkeller hat er eine weibliche Leiche mit dem Gehirn ihres ungeborenen Kindes wiederbelebt. Und so stakst nun Emma Stone als Bella Baxter wackelig durchs Haus ihres Schöpfer-Vaters, den sie zärtlich "God" nennt.

Äußerlich eine erwachsene Frau, gibt Bella noch Babylaute von sich und haut Papas Assistenten kichernd auf die Nase.

"Sie ist ein Experiment. Ihr Gehirn und ihr Körper sind noch nicht ganz im Einklang. Aber sie entwickeln sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit." Filmszene

Nur anders als gedacht. Getrieben von einer natürlichen Neugier, entdeckt Bella - vor den Augen des peinlich berührten Hauspersonals - zuerst die Lust am eigenen Körper, dann das Interesse an Dingen außerhalb ihres goldenen Käfigs. Sie will auch nicht "Daddy Gods" braven Assistenten heiraten, sondern mit dem Hallodri Duncan Wedderburn alias Mark Ruffalo durchbrennen. Und so beginnt dann für dieses kuriose Geschöpf eine Bildungsreise durch die große weite Welt.

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Szene aus "Poor Things" © Searchlight Pictures

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Ein feministisch angehauchtes Experiment

In "Poor Things" (basierend auf einem Roman von Alasdair Gray) geht es um ein anthropologisches, feministisch angehauchtes Experiment: Wie könnte sich eine Frau entwickeln, wenn sie weder Scham noch all die gesellschaftlichen Konventionen kennt, die den Rest von uns reglementieren? Mit Leidenschaft wirft Emma Stone sich in diese Rolle, die ihr den Oscar als beste Hauptdarstellerin und den Golden Globe als beste Komödien-Darstellerin eingebracht haben. Auch die Ausstattung überzeugte bei den Oscars: Es gab Trophäen für die besten Kostüme, das beste Make-Up und Hairstyling und für das beste Produktionsdesign.

"Yorgos und ich haben viel herumexperimentiert, verschiedene Schritte und Bewegungen ausprobiert. Das ist ja das Tolle, dass sie mit keinem anderen Wesen vergleichbar ist. Also konnten wir frei erfinden, wie sie gehen und sprechen würde. Dieser Teil des Prozesses hat wirklich Spaß gemacht", erzählt Stone.

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Emma Stone spielt Bella Baxter irre komisch

Je mehr Bella Baxter von der Welt kennenlernt, desto bunter werden die Filmbilder. Die Ausstattung von "Poor Things" ist wirklich opulent! Da wurden Interieurs aus viktorianischer Zeit mit Zuckerbäcker-Dekors und futuristischen Anklängen kombiniert. Immer surrealer werden die Bild-Tableaus - schließlich mit Hintergründen, die wie gemalte Theaterkulissen aussehen. Der Soundtrack dazu klingt, wie immer bei Lanthimos, grotesk verzerrt. Aber insgesamt ist "Poor Things" zugänglicher als seine bisherigen Filme. Denn Emma Stone ist als unbezähmbare weibliche Naturgewalt einfach auch irre komisch - selbst in den ausgedehnten Sexszenen, die ihren Heißhunger auf alle menschlichen Erfahrungen illustrieren.

Schöne Ironie der Geschichte, dass nur Bücher sie bald noch mehr interessieren als Männer. Zum Leidwesen des immer jämmerlicher auftretenden Verführers Wedderburn:

"Immerzu liest Du jetzt, Bella. Du verlierst einiges von Deiner bezaubernden Art zu sprechen."
"Ich bin ein wandliges Wesen, genauso wie wir alle." Filmszene

"Poor Things" zielt auf ein breiteres Publikum

Diese Frauenfigur lässt sich weder bändigen noch bevormunden; so kann sie sich ihren eigenen Reim auf die Welt machen, deren Schattenseiten ihr auf Dauer nicht verborgen bleiben und sie auch Mitgefühl als menschliche Regung kennenlernen lassen. "Poor Things" ist eine bizarr-lustige Frankenstein-Komödie; vielleicht ein wenig zu sehr Männerfantasie über entfesselte Weiblichkeit. Auf jeden Fall aber der erste Film von Yorgos Lanthimos, der sich auch mit einem Kübel Popcorn gut verträgt.

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Poor Things

Genre:
Komödie | Drama | Fantasy | Science-Fiction
Produktionsjahr:
2023
Produktionsland:
Vereinigtes Königreich
Zusatzinfo:
Mit Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe u.a.
Regie:
Giorgos Lanthimos
Länge:
141 Minuten
FSK:
ab 16 Jahre
Kinostart:
18. Januar 2024

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 15.01.2024 | 07:55 Uhr

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