Filmtipp "Munch": Collage über das norwegische Künstler-Genie
Das dramaturgische Konzept des Biopics über Edvard Munch, den Schöpfer des expressionistischen Symbolbilds "Der Schrei", ist überzeugend. In vier Episoden wird die Hauptfigur von vier Schauspielern verkörpert.
Für einen Künstler, dessen Malstil Ende des 19. Jahrhunderts radikal modern war, verbietet sich eine konventionell erzählte Filmbiografie von selbst. Der norwegische Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken löst sich deshalb von jeder Chronologie und nähert sich Munch über vier Episoden, Schlüsselmomente seines Lebens. Die Zeitebene wird permanent gewechselt, die Hauptfigur von vier Schauspielern verkörpert - im Alter von 21, 29, 45 und schließlich 80 Jahren. Der alte, schwerkranke und menschenscheue Maler lebt zurückgezogen auf seinem Landgut bei Oslo, als er 1943 ungebetenen Besuch von den deutschen Besatzern bekommt.
Dem Tod schon nahe, ist Munch wild entschlossen, seine Bilder vor den Nazis zu schützen, die sie vor ein paar Jahren noch als "entartet" konfisziert haben und nun den Wert erkennen.
Die inneren Dämonen des Edvard Munch
Als Genie entdeckt und doch gleichzeitig abgelehnt zu werden - das ist eine Erfahrung, die Munch auch als junger Künstler schon macht. Die erste Werkschau des 29-Jährigen 1892 in Berlin endet noch vor der Eröffnung mit einem Skandal:
"Wir müssen die Ausstellung leider absagen."
"Wieso?"
"Man hält diese Bilder für unfertig."
"Na, das ist meine Entscheidung, oder?"
Filmszene
Die zwei weiteren Episoden zeigen Munch als zarten Jüngling, wild, romantisch, verliebt in eine verheiratete Frau - und in der Mitte des Lebens als betrunkenes Wrack, das in der Psychiatrie landet. Leuchtende Sommerfarben auf der einen Zeitebene, expressionistisch schwarz-weißer Stummfilm-Look auf der anderen.
Warum Edvard Munch zeitlebens so sehr mit inneren Dämonen und Schaffenskrisen kämpft, obwohl er doch als Künstler erfolgreich ist und seine Bilder gut verkauft? Die geschilderte Liebesepisode aus frühen Jahren legt nahe, dass er nachhaltig traumatisiert wurde - durch ein gebrochenes Herz und tragische Todesfälle in seiner Familie. Die Berliner Jahre sind dann wild und exzessiv, seine Beziehung zu Tulla Larsen, die er mit ihren leuchtend roten Haaren oft gemalt hat, letztlich zum Scheitern verurteilt. Regisseur Dahlsbakken greift hier zu einem wirksamen Verfremdungseffekt, der die Modernität der deutschen Hauptstadt damals unterstreicht: Die illustre Künstler-Clique von 1892 lässt er einfach durch die Straßen des heutigen Berlins streifen, Handys benutzen und ekstatisch zu Tekkno-Musik im "Berghain" feiern. Mit ihren lebens- und kunstphilosophischen Diskussionen ist diese Filmepisode etwas verkopft und anstrengend geraten, das dramaturgische Konzept insgesamt aber überzeugend.
Zugabe am Ende des Films
Eine biografische Collage könnte man "Munch" nennen. Die Struktur des Films sieht der Regisseur "wie eine Ausstellung, die mehr und mehr über den Künstler preisgibt, je länger man sie betrachtet". Als Zugabe gibt es am Ende dann auch noch eine kleine filmische Ausstellung seiner Kunst - Edvard Munchs wichtigste Werke, abfotografiert in den Museen, in denen sie hängen. Nach allem, was man bis dahin über den Künstler erfahren hat, sprechen sie für sich.
Munch
- Genre:
- Biografie | Drama
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- Norwegen
- Zusatzinfo:
- Mit Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth u.a.
- Regie:
- Henrik Martin Dahlsbakken
- Länge:
- 105 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 14. Dezember 2023