Den Gipfel ertasten: Doku "Soundscape" über einen blinden Bergsteiger
Erik Weihenmayer ist ein absoluter Ausnahme-Bergsteiger, denn er kann nicht sehen. Den Weg durch die Berge ertastet und erhört er sich. Der Dokumentarfilm "Soundscape" begleitet ihn beim Versuch, eine 365 Meter hohe Felswand zu bezwingen.
Erik Weihenmayer kämpft sich hoch, auf den Gipfel des "Incredible Hulk" in Nevada. Die 365 Meter hohe, vertikale Felswand ist eine echte Herausforderung, auch für geübte Bergsteiger. Für Erik kommt hinzu: Er ist völlig blind. "Als ich blind wurde, hatte ich riesige Angst davor, Dinge zu verpassen. Ich wollte alles erleben", erzählt er.
Erik erblindete mit 13 Jahren an den Folgen einer Erbkrankheit. Er wollte sich nicht einschränken lassen und erfüllte sich selbst die waghalsigsten seiner Träume: 2001 war er als erster Blinder auf dem Mount Everest und hat inzwischen alle der sieben höchsten Gipfel der Welt bestiegen.
Den Bergsport für Menschen mit Behinderung zugänglicher machen
Auf dieser Tour begleitet ihn Timmy O’Neill, der Regisseur dieses Films. Timmy ist Profikletterer. Wie Erik will er den Bergsport für Menschen mit Behinderung zugänglicher machen: "Erik und ich kennen uns schon seit 20 Jahren", sagt er. "Er wollte den 'Hulk' schon lange besteigen und ich wollte dabei sein, weil das für mich einer der beeindruckendsten Berge der Welt ist. Ich wusste, dass es schwer wird, aber Erik ist einer der schnellsten und fähigsten Kletterer - auch, wenn er sehbehindert ist."
Als blinder Bergsteiger ist Erik oftmals mutiger und risikobereiter als seine sehenden Begleiter:innen. Er muss sich bei jedem Schritt mehr trauen als sie, erklärt er: "Wenn jeder Schritt perfekt sein müsste, käme ich gar nicht voran." Tim O’Neill ergänzt: "Manchmal sage ich: 'Ey, mach langsam, das ist gerade schwieriger als du denkst'. Er sagt dann nur: 'für dich vielleicht'."
Doku "Soundscape" zeigt Klettern aus Eriks Perspektive
Erik kann zwar nicht sehen, verlässt sich aber umso mehr auf seine anderen Sinne - besonders das Hören. Der beeindruckende Film "Soundscape" stellt mit Hilfe von Visualisierungen die Welt so dar, wie Erik sie wahrnimmt. "Es gibt die Methode der Echo-Ortung. Damit kann man durch Schallwellen, die an Objekten abprallen, Formen erkennen", erklärt Weihenmayer. "Klang ist unglaublich nuancenreich, wenn man lernt, auf ihn zu achten. Ein harter Fels ergibt ein knackiges Geräusch, ein Baum mit Blättern dagegen klingt weich und gefiltert. Mit meinen anderen Sinnen versuche ich mir die Schönheit von Dingen zu erarbeiten."
Nach einer mehrstündigen Wanderung erreichen sie den "Hulk". Bevor sie sich auf die steile Felswand wagen, lässt Erik mit Hilfe seines Freundes die Umgebung auf sich wirken. "Meine Partner nehmen oft meine Hand und zeichnen damit die Umrisse der Berge vor uns nach. Das erinnert mich ans Bildermalen als Kind, als ich noch sehen konnte: vor mir ein leeres Blatt, auf dem sich der Stift bewegt und ein Bild entstehen lässt, das immer mehr Gestalt annimmt", sagt Weihenmayer.
Die Welt auf eine eigene Art erleben
Der berührende Kurzfilm "Soundscape" macht es möglich, sich in den blinden Bergsteiger hineinzuversetzen. Wie er seiner Leidenschaft nachgeht, wirkt am Ende gar nicht mehr so waghalsig, sondern vor allem inspirierend. Eriks Ziel ist es, anderen behinderten Menschen Mut zu machen: "Meine größte Angst war früher, ausgeschlossen zu sein von allem, was aufregend und abenteuerlich ist. Doch jetzt erlebe ich die Welt auf meine ganz eigene Art - und die ist genauso gut wie jede andere." Erik Weihenmayer setzt sich über die Grenzen hinweg, die ihm das Schicksal in den Weg gelegt hat. Es macht Spaß, ihm dabei zu zuschauen.
"Soundscape" ist einer von sechs Kurzfilmen, die im Rahmen der "European Outdoor Film Tour" gezeigt werden, auch in vielen norddeutschen Städten. Unter anderem am 30. Oktober im Astor Film Theater in Braunschweig.
Soundscape
- Genre:
- Dokumentation
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- USA
- Regie:
- Timmy O’Neill
- Länge:
- 14 Minuten