
Tom Tykwer: "Jede Familie ist irgendwie auch ein Desaster"
Mit Filmen wie "Lola rennt", "Das Parfum" und der Serie "Babylon Berlin" hat sich Regisseur Tom Tykwer auch international einen Namen gemacht. Nun startet sein neuer Film "Das Licht" im Kino. Pünktlich zum Kinostart spricht Katja Weise mit Tom Tykwer in NDR Kultur à la carte über Erfolg, Niederlagen, seine Arbeit, Ideen und Pläne.
Im Film "Das Licht" geht es um eine dysfunktionale Familie aus Berlin. Die Mutter engagiert sich in Kenia für eine NGO und will dort ein Theater aufbauen. Der Vater arbeitet in der Werbung und gibt sich sehr alternativ. Während seine Frau oft nach Afrika fliegt, radelt er konsequent durch Berlin. Der Sohn spielt rund um die Uhr Videospiele, die Tochter geht tagelang mit ihrer Clique auf Tour in Clubs. Sie reden nicht wirklich miteinander. Diese ganze Konstellation ändert sich, als eine neue Haushälterin engagiert wird. Ein modernes Märchen mit Starbesetzung: Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Tala Al Deen.
Sie haben in mehreren Gesprächen erzählt, der Auslöser für die Geschichte war unter anderem, dass die Haushaltshilfe Ihrer Familie eines Tages nicht mehr gekommen ist. Da haben Sie sich gefragt, was sie eigentlich über diese Frau wissen. Was genau hat Sie damals so erschüttert?
Tom Tykwer: Das war eins von vielen Elementen. Aber das war ein Moment, wo man sich plötzlich fragt: Wie verbunden bin ich mit den Menschen, die mich im Leben umgeben? Wie viele Fragen stellen wir uns gegenseitig noch: Wie sehr leben wir nebeneinander? Irgendwie spiegelt das etwas, das ich insgesamt so empfinde: Mein Gefühl ist, dass wir ein bisschen isolierter sind. Das ist wie ein Wesenszustand unserer Zivilisation: Dass wir alle unser Ding machen und uns nur beim Gegenüber nur schnell die Grundparameter abholen und dann abhaken. Wir fragen gar nicht mehr richtig nach, um mehr über unser Gegenüber zu erfahren. Das ist etwas, was es auch schon immer gab. Gerade der Konflikt zwischen der Eltern- und Kindergeneration, wenn sie junge Erwachsene werden, da ist der Riss vorprogrammiert und auch irgendwie notwendig.
In der Familie, die wir im Film zeigen, sehen wir vereinzelte Personen, die alle in einem Tunnel vor sich hin leben. Sie haben das dysfunktionale Familie genannt. Ich sage darauf immer: es gibt keine nicht dysfunktionale Familie auf der Welt. Jede Familie ist irgendwie auch ein Desaster; chaotisch, hat irre viele Kommunikationsprobleme, ist intrigant, überworfen, verzweifelt und dann auch wieder glücklich. Aber das ist niemals simpel. So eine Familie kenne ich nicht. Insofern ist das für mich eine klare Voraussetzung, mit der jeder etwas anfangen kann, in der sich aber gleichzeitig auch irgendwie das Dilemma der Gegenwart spiegelt. Ich habe das Gefühl, das auf allen gesellschaftlichen Ebenen das Aufeinanderzugehen, die Zugewandtheit und das echte Zuhören kränkeln oder sogar fast verschwunden sind.
Der Film ist 162 Minuten lang. Sie erzählen sehr breit und mit vielen verschiedenen Mitteln. Es gibt Familienszenen in der Altbauwohnung, Musicalszenen, eine Art Anime-Sequenz, fast surreale Szenen und dann wieder dokumentarische Szenen. Das Ganze ist fast so, als würde man mit Ihnen auf eine Art Trip gehen. So ist es mir in Teilen gegangen. Ist das gewollt?
Tykwer: Ja, aber das muss ein Kameramann erstmal filmen und ein Schauspieler erstmal spielen. Ich bewundere immer, wie die sich manchmal trauen, einfach zu springen und mal zu gucken, was passiert, während sie runterfallen. Das habe ich beim Drehen noch nie so stark empfunden, wie toll das sein kann, wenn sich solch ein verschworener Haufen zusammentut und sagt: Das interessiert uns in der Tiefe und der Vielfalt, in der wir das selber empfinden, und zwar mit ganz vielen Farben, unterschiedlichen Stimmungen und Unwägbarkeiten, die zum Ausdruck gebracht werden. Das ist etwas, was der Film versucht. Das ist kein Film, der andauernd Antworten gibt, sondern der die ganzen Fragen und Widersprüche aufreißt, die uns beschäftigen. Das haben alle gemeinsam so stark beherzigt, dass wir wie ein Schwamm waren, der das alles in sich aufgesogen und versucht hat, daraus ein großes Bild zu malen.
Mittendrin gibt es so etwas wie eine Versuchsanordnung. Diese Haushälterin ist vor fünf Jahren aus Syrien geflohen, wohnt jetzt in Berlin und ist bei der Familie beschäftigt. Sie verändert die ganze Familie, indem sie nach und nach mit allen spricht und genau das tut, was sie untereinander nicht mehr schaffen, sie hört ihnen zu und taucht in ihre jeweiligen Welten ein. Außerdem hat sie eine magische Lampe dabei. Es ist ein Licht, vor das sie sich setzt und später auch die Familienmitglieder setzt. Mit dem Licht kann man in andere Bewusstseinszustände eintauchen. Das hat fast etwas Esoterisches.
Tykwer: Esoterik ist in den Zusammenhang ein komischer Begriff. Ich bin eher an der spirituellen Seite dieser Perspektive interessiert. Was die Lampe macht, sie ist eine Psychologin mit ganz anderen Prägungen, weil sie aus einem anderen Kulturkreis kommt. Die hat sich unterschiedliche Sachen beigebracht. Was ich innerhalb dieser Welt, in der wir leben, immer mehr erlebe, es geht nicht mehr darum Integration zu lernen, denn die ist längst da. Es geht eher darum, die Integration zu akzeptieren, die schon längst passiert. Das kann man zum Beispiel dadurch tun, dass man seinen Horizont erweitert, wenn man sich mit Menschen mit Migrationshintergrund auseinandersetzt und sie kennenlernt. Denn es ist schön, wie sehr sie sich einerseits hier einfügen und trotzdem was hinzufügen, was wir vielleicht nicht kennen.
Die Haushälterin im Film ist eigentlich Psychologin, aber sie bekommt hier keine Lizenz, um mit ihren Methoden zu praktizieren. Deshalb zeigt sie uns diese Lampe. Sie ist ein lichttherapeutisches Instrument, das wirklich benutzt wird - und übrigens in Deutschland und Österreich erfunden wurde - das nennt man eine hypnagoge Lichttherapielampe. Die ist deshalb so ein tolles Gerät, weil sie hochtechnisch, mit ganz vielen kleinen LED-Lämpchen ausgestattet ist und die eine bestimmte Art von Bestrahlung auf die Augenlider auslöst, die wiederum ein extrem befreienden, introspektiven Effekt haben kann.
Haben Sie sich mal vor so eine Lampe gesetzt?
Tykwer: Aber natürlich, sonst kann ich darüber keinen Film machen.
Wie war das für Sie?
Tykwer: Das ist wirklich sehr interessant. Das ist nicht wirklich angezweifelt. Das sind Naturwissenschaftler und Techniktüftler, die das entwickelt haben. Aber natürlich hat die auf jede Person etwas unterschiedliche Auswirkungen. Für mich war das wirklich phänomenal, wie schnell man da Türen in sich selber öffnet. Aber das hängt immer von der jeweiligen Person ab.
Das Gespräch führte Katja Weise. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.