"The Zone of Interest": Friedel und Hüller über Rudolf und Hedwig Höß
Wie spielt man ein Ehepaar, bei dem der Mann Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz ist und das direkt neben dem KZ lebt? Im Interview mit NDR Kultur sprechen Sandra Hüller und Christian Friedel über ihre Rollen im Oscar-nominierten Film "The Zone of Interest".
Dieser Film ist anders als andere Holocaust-Filme: Regisseur Jonathan Glazer zeigt uns in "The Zone of Interest" anderthalb Stunden lang das Leben der Familie Höß: Vater, Mutter und fünf Kinder - Alltag zwischen Büro, Gartenarbeit, Swimmingpool und Schlafzimmer. Was hinter der Mauer, im KZ selbst passiert, wird nie gezeigt. Aber man hört es ständig: Schreie, Schüsse, Hundebellen. Christian Friedel spielt Rudolf Höß, den Lagerkommandanten von Auschwitz, Sandra Hüller seine Frau Hedwig. Seit dem 29. Februar läuft der Film im Kino. Ein Gespräch darüber, wie die beiden an eine solche Rolle herangegangen sind und was der Film mit ihnen macht.
Frau Hüller, Hedwig Höß lebt als Hausfrau in diesem Haus direkt am Lager. Auf der akustischen Ebene ist dieses Grauen des Konzentrationslagers ständig präsent. Wo tut diese Figur das hin, dieses Wissen, was da passiert?
Sandra Hüller: Das weiß ich nicht. Das habe ich nicht herausgefunden. Ich glaube, dass die Haut sozusagen dicker wird, obwohl ich nicht glaube, dass sie wirklich viele Empfindungsmöglichkeiten hatte, bevor sie dort hingezogen ist. Das ist ein sehr dumpfer Mensch. Wo das hingeht, weiß ich nicht. Aber ich glaube diese Schicht, an der das abprallt, ist sehr dick gewesen.
Was treibt diese Frau an?
Hüller: Gier - die treibt Gier an. Und die Sehnsucht nach Größe, Eleganz oder Reichtum. Sie möchte etwas, das sie niemals haben kann. Dafür nimmt sie den Tod von Millionen Menschen in Kauf.
Sie wirken in vielen Szenen fast wie ein heutiges Ehepaar. Die Szene, in der sie erfahren, dass sie wegziehen müssen. Sie sagen 'Nein, ich will hierbleiben' und 'Ruf den Himmler an', 'Ruf den Hitler an'. Das klingt wie ein Ehepaar heute, wo der Mann Manager ist und sagt: 'Wir müssen jetzt nach Mumbai ziehen'.
Christian Friedel: Das war Jonathan Glazer von Anfang an sehr wichtig. Dass das ein heutiges Paar ist. Dass man Parallelen ziehen kann, sich selber auch in den Figuren wiederentdeckt. Die Probleme, die die haben, sind so banal und so normal, wie sie auch heute noch bei Paaren sind. Wir haben bei diesem Film mit einem Multi-Kamerasystem gearbeitet, wo man teilweise mit zehn Kameras gleichzeitig gedreht hat. Dadurch hat man die Szenen immer in einem gefilmt. Wir hatten die Möglichkeit, verschiedene Varianten zu erstellen. Ich glaube, Jonathan hat sich dann bewusst für die modernste entschieden.
Hüller: Ich finde es immer irritierend, in Verfilmungen dieser Zeit zu sehen, wie sich der Ton der Leute verändert: Wie die anfangen, so zu sprechen, wie man sich das bei Nazis vorstellt. Ich habe mich früher schon immer gefragt: Warum eigentlich? Warum trägt man diese Uniformen? Kann man nicht etwas über diese Dynamik erzählen, ohne dass man sich verkleidet. Ohne, dass man diese Art von Sprache und Gestus immer wieder reproduziert? Ich glaube, das war der Versuch, ohne diese Dinge auszukommen, obwohl es die Uniform natürlich wirklich gibt.
Was löst der Film in Ihnen aus?
Hüller: Als wir den zusammen gesehen haben, mit dem großen Publikum, war es sehr, sehr still. In mir löst der Film eine große Beklemmung aus. Er macht mir bewusst, was ich als Mensch für eine Aufgabe habe. Wie aufmerksam ich bestimmten Strömungen gegenüber in meinem Leben und in meinem Umfeld sein muss.
Friedel: Beklemmung ist das richtige Wort. Ich habe den Film vier Mal gesehen - zum letzten Mal beim Filmfestival in Toronto. Danach hatte ich ein Interview und mir ist die Stimme weggebrochen, als ich die erste Frage gestellt bekommen habe. Ich merkte, ich brauche Zeit, um das zu verarbeiten. Obwohl ich wusste, was auf mich zukommt oder was ich dort sehe. Ich habe gemerkt: Der Film wird immer intensiver, je öfter man ihn schaut. Es gibt viele, die sagen: 'Ich kann so einen Film nur einmal schauen'.
Der Film zeigt nicht, was im Vernichtungslager selbst passiert. Warum nicht?
Hüller: Die Bilder aus Auschwitz sind in den Köpfen fast aller Menschen dieser Erde und es war bestimmt eine Zeit lang richtig, das wiederherzustellen. Jonathan Glazer ging es darum, das auf einer anderen Ebene erfahrbar zu machen. Diese Art Abstumpfung, die wir da vielleicht auch erfahren haben. Die Gewöhnung an bestimmte Arten, miteinander zu reden oder an bestimmte politische Strömungen, an faschistische politische Strömungen, die wir heute haben. Es ging ihm tatsächlich um etwas Unmittelbares. Es ist ein antifaschistischer Film, es ging ihm um Empathie mit den Menschen, die ermordet wurden.
Friedel: Die Bilder sind stärker, wenn sie nicht zu sehen sind, wenn Sie fühlbar sind. Diese unglaubliche Tonspur, die Musik, die Bilder, die man sieht und das, was man hört. In diesem Kontrast ist das viel spürbarer. Das ist etwas, das im Ausdruck viel stärker ist als das plakative wieder Aufzeigen mit Kostümen oder ausgemergelten Statisten oder Statistinnen.
Hüller: Johnnie Burn, der Sounddesigner, hat eine Bibliothek angelegt, mit Geräuschen aus dieser Zeit, die er auch in Archiven gesucht hat. Er wusste ganz genau, wie weit welche Situationen im Lager entfernt waren vom Haus und wie laut etwas sein muss, damit man es dort hört. Diese Tonspur ist sehr genau, die ist an keiner Stelle zufällig oder beliebig.
Die Tonspur hat eine unglaubliche Wirkung. Aber man muss auch viel wissen über diese Zeit. Man muss viel wissen über diese Ideologie und was passiert ist.
Friedel: Ich hoffe, dass die Leute wissen, was dort passiert ist. Aber selbst, wenn man jetzt zum Beispiel eine Generation hat von jüngeren Menschen, die den Film sehen und vielleicht nicht unbedingt sofort diese Bilder vor Augen haben: Man hat trotzdem ein beklemmendes Gefühl. Dass dort etwas stattfindet in einer Lautstärke und auch in einer Brutalität, was nicht so einfach zu ignorieren ist. Dieser Kontrast: Dort agieren Menschen in ihrem täglichen Umfeld, als ob nichts wäre und man weiß dahinter, da muss aber was sein! Ich glaube, dass das etwas auslöst. Vielleicht schlägt es auch Brücken in die heutige Zeit, wenn man sagt: Das ist vielleicht etwas, was auch heute passiert. Wir sprechen heute offen in einer Tonalität über Dinge, die vor ein paar Jahrzehnten undenkbar waren und heute scheinbar kein Problem sind.
Zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge?
Friedel: Thema Flüchtlinge und überhaupt die politische Situation, das kann einen ziemlich beängstigen. Wir haben die Geschichte, und man denkt immer: hört doch zu, lernt aus der Geschichte, seid euch dessen bewusst! Aber ich habe manchmal das Gefühl, wir werden immer bequemer und Dinge wiederholen sich. Das macht mir ziemlich Angst. Ich glaube, das ist etwas, was einen wütend machen kann. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass wir in dieser Tonalität über Dinge sprechen. Wir können das nicht akzeptieren, dass auch in Deutschland wieder so über Juden gesprochen wird. Da müssen wir als Gesellschaft ein stärkeres Wir formen.
Haben Sie sich mit der historischen Figur Hedwig Höß viel beschäftigt?
Hüller: Nein, ich habe mich nicht mit Hedwig Höß beschäftigt, weil wir kein Biopic gemacht haben. Wir haben versucht, ein Phänomen zu untersuchen. Mich hat das nicht so interessiert, wie die gelebt haben. Ich habe eine Aufnahme ihrer Stimme gehört und überlegt, ob ich damit umgehe oder nicht. Es gab eine wichtige Information über sie, nämlich, dass sie gewusst hat, was im Lager passiert ist. Das war wichtig, um zu wissen, ob es da etwas wegzudrücken gibt oder eben nicht.
Konnten sie die Figuren irgendwie verstehen?
Hüller: Nein, das wollte ich auch nicht. Ich wollte Hedwig Höß nicht verstehen. Da habe ich mich geweigert.
Friedel: Aber was man verstehen muss, ist, dass die Menschen dazu fähig waren, das zu tun und so zu leben, wie sie gelebt haben. Das habe ich mehr wahrgenommen und verstanden. Aber ich kann nicht verstehen, wie man so nah an dem Lager lebt. Wie man überhaupt diese Entscheidung treffen kann: den größten Sinn seines Lebens darin zu sehen, der beste Ökonom einer Massenvernichtung zu sein. Ich kann auch nicht verstehen, Menschen wie Vieh zu betrachten oder wie man etwas so verdrängen kann.
Das Interview führte Lennart Herberhold.