Kriegsfilm "1917": Bildgewaltig, aber ohne Haltung
Der Brite Sam Mendes wurde "American Beauty" und James-Bond-Filmen wie "Skyfall" und "Spectre" bekannt. Bei den Golden Globes gewann "1917" in den Kategorien "Bester Film - Drama" und "Beste Regie".
Zudem wurde der Film für zehn Oscars nominiert.
Es ist nur konsequent, wenn ein Kriegsfilm mit einem Befehl beginnt. Bei "1917" fasst er auch schon den Inhalt zusammen: Den Soldaten Schofield und Blake bleiben nur ein paar Stunden, um sich durch feindliches Gebiet zu der britischen Einheit durchzuschlagen, zu der auch Blakes älterer Bruder gehört. So beginnt eine einzige, fast ununterbrochene vorwärtsdrängende Bewegung, die die beiden jungen Soldaten durch die vom Ersten Weltkrieg zerstörte Landschaft führt, durch Kraterfelder und verlassene Schützengräben. Sie überwinden Stacheldrahtsperren, stolpern über verwesende Leichen, treffen auf deutsche Sprengfallen.
"1917": Sam Mendes kreiert Film ohne sichtbaren Schnitt
Sam Mendes' Film "1917" kommt ohne einen einzigen sichtbaren Schnitt aus. Die wenigen Schnitte werden kaschiert. Sam Mendes will dadurch die Illusion der Echtzeit und Unmittelbarkeit erzeugen. Das Drehen in langen durchgängigen Einstellungen, in denen sich das Objektiv an die beiden Soldaten heftet, erforderte einen immensen logistischen Aufwand. Riesige Sets wurden eigens dafür gebaut, um von der Kamera in langen Szenen ohne Unterbrechung durchquert werden zu können.
Immer wieder wurden Aufnahmen mit Hunderten Statisten geprobt, etwa endlose Läufe durch Schützengräben, bei denen jeder sekundengenau zu reagieren hat. Um die Anschlüsse zu gewährleisten, konnte nur bei immer gleichem Wetter mit bedecktem Himmel gedreht werden. Einmal werden die beiden Briten fast von einem deutschen Flugzeug zermalmt, das aus den ewig milchigen Wolken stürzt.
Zerstört der Aufwand die Illusion?
Die logistische Leistung der Regie steht in "1917" so sehr im Vordergrund, dass die Illusion der Echtzeit, des direkten Dabeiseins zerstört wird. Statt sich von der Bewegung mitreißen zu lassen, stellt man sich nämlich fortwährend Fragen: Wie gelingt es der Regie, eine Ratte nach einem zehnminütigen Lauf der Soldaten punktgenau durchs Bild krabbeln und auch noch eine Sprengfalle auslösen zu lassen? Spielt der eine Statist nicht ein wenig hölzern, aus Angst, eine lange Szene am Ende zu vermasseln? Wie oft wurde wohl die Sequenz geprobt, in der deutsche Maschinengewehrsalven und Suchscheinwerfer eine Art Choreografie ergeben?
Darsteller wirken wie Protagonisten eines Computerspiels
Die beiden Darsteller George MacKay und Dean-Charles Chapman schlagen sich wacker. Auch wenn es ein abgedroschener Vergleich ist: Sie wirken wie die Protagonisten eines Computerspiels, die von einer Station zur nächsten springen: Blumenwiese, Schützengraben, Kraterfeld, nächtliche Ruinenlandschaft, Wildbach mit eingestürzter Stahlbrücke. Aber wozu eigentlich der ganze Aufwand, wenn die dröhnende, wabernde Musik ständig gegen den Eindruck des vermeintlich Echten, Authentischen arbeitet? Eine akustische Spannungs- und Pathosmaschine.
"1917": Ein Film ohne Aussage
Das Problem von "1917" besteht darin, dass das Drehen ohne Schnitt, diese wie ein Muskelspiel ausgestellte Selbstbeschränkung, noch längst kein ästhetischer Zugriff ist und auch nicht eine Idee zum Thema ersetzen kann. Streckenweise wirkt der Lauf der Soldaten wie ein Kino-Sportevent - in der Kulisse des Ersten Weltkriegs. Was fehlt, ist eine Auseinandersetzung formaler oder inhaltlicher Art. In diesen Bildern gibt es keine Haltung zum Ersten Weltkrieg oder zum Krieg überhaupt.
1917
- Genre:
- Kriegsfilm
- Produktionsjahr:
- 2019
- Produktionsland:
- Großbritannien, USA
- Zusatzinfo:
- mit George MacKay, Dean-Charles Chapman, Mark Strong, Andrew Scott, Colin Firth, Benedict Cumberbatch
- Regie:
- Sam Mendes
- Länge:
- 119 Min.
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 16. Januar 2020