Rosa von Praunheim wird 80: "Beim Film geht es um Sinnlichkeit"
Rosa von Praunheim ist Filmemacher, Autor, Theaterregisseur, Ikone der LGBTQ-Bewegung - am Freitag wurde er 80 Jahre alt. Ein Gespräch über das Alter, Filmnachwuchs, Gedichte und Schockmomente.
Mit seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" wurde er Anfang der 1970er-Jahre berühmt. Der Film wurde als Statement und Aufruf für ein Ende der Schwulen- und Lesbenunterdrückung verstanden und zur Initialzündung vieler Homosexuellenbewegungen. Rosa von Praunheims Filme "Die Bettwurst" (1971), "Stadt der verlorenen Seelen" (1983), "Überleben in New York" (1989) und viele andere wurden zu weltbekannten Kultfilmen.
Zuletzt feierte sein Projekt "Rex Gildo", eine Hommage an den Schlagersänger, großen Kinoerfolg. Sie steht derzeit in der ARD Mediathek. Der in Berlin lebende 80-Jährige erzählt im Studio von NDR Kultur über seine Karriere und sein Leben und Schockmomente.
Jetzt mal ganz ehrlich, du fühlst dich noch nicht wirklich alt, oder?
Rosa von Praunheim: Das wechselt ab. Es ist auch Zeit, jetzt, mit 80 Jahren, zu gehen. Ich meine, das ist eigentlich schon zu alt zum Sterben.
Du hast schon ganz oft diese Geschichte von der Wahrsagerin erzählt, die dir deinen Tod vorausgesagt hat. Ich glaube, es war Oktober 2023. Löst es bei dir irgendetwas aus?
von Praunheim: Ja, natürlich. Ich freue mich wahnsinnig darauf. Ich meine, endlich nur noch ausruhen und schlafen. Ich bin ja immer getrieben, mein ganzes Leben lang zu produzieren. Und das ist natürlich ein schönes Gefühl. Aber mein Freund will, dass ich hundert werde, insofern muss ich mich ihm unterordnen.
Was hast du heute schon gemacht?
von Praunheim: Ich habe 50 Gedichte geschrieben. Nicht ich habe sie geschrieben, sondern es hat mich geschrieben. Das fließt nur so raus. Ich bin nur das Medium.
Was ist das für ein Zustand? Kannst du das irgendwie beschreiben?
von Praunheim: Das ist ganz einfach. Man setzt sich hin und es schreibt. Ich korrigiere auch kaum, höchstens mal Rechtschreibfehler. Das ist eine schöne Sache.
Geht es dir manchmal so, wenn du sagst, es schreibt mich, dass du ganz überrascht bist, was dabei herausgekommen ist?
von Praunheim: Ja, total überrascht. Vor allem, wenn ich es wieder lese. Dann bin ich ganz begeistert und denke mir, wer hat so etwas Tolles geschrieben? Mein Freund sagt dann immer, das ist arrogant, so was sagt man nicht. Aber ich glaube, vielen Künstlern geht das so, wenn sie etwas gemacht haben. Bei meinen Studenten war das so, die waren immer begeistert von ihren ersten Filmen. Ich denke, das ist wie ein Baby, das kackt. Die Kacke dampft und das Baby ist stolz, dass es das gemacht hat. So ist es bei mir auch.
Du gibst das ja unglaublich gerne weiter. Du hast deine Studenten selbst erwähnt. Wie verklickerst du denen, wie das geht? Ich könnte mir vorstellen, dass sich manche ganz schön schwertun, sich einfach hinzusetzen und zu sagen, es schreibt jetzt aus mir.
von Praunheim: Man muss schnell arbeiten. Am Donnerstagmorgen mussten sie mit einer Idee kommen, am Freitag war schon Casting, am Sonnabend Dreh und Sonntagabend sollte der geschnittene Kurzfilm fertig sein. Dadurch, dass sie so schnell arbeiten mussten, sind tolle Sachen herausgekommen.
Film ist ja nicht Gedanken in Bildern, sondern Gefühle in Bildern. Das Wichtige ist eben, dass man bei jeder Szene etwas fühlt. Es geht nicht um die Informationen, sondern es geht um die Sinnlichkeit. Das muss man Leuten, die ein Abitur haben, meistens beibringen, denn die sind eher wissenschaftlich erzogen. Ich musste mit ihnen Gefühls-Übungen machen. Unten, in der Parterre bei mir, war ein S&M Club. Dort habe ich die Studierenden hingeführt. Die Damen dort haben ihnen dann den gynäkologischen Stuhl gezeigt und wie sie die Kunden ans Kreuz nageln. Dann sind sie grün und bleich geworden und mussten noch zu mir hochkommen und schreiben.
Also ein Schock bringt es?
von Praunheim: Dass sie ein starkes Gefühl kriegen - das bringt es. Die nächste Unterrichtsstunde gab es dann morgens um sieben eine Autopsie in der Charité, dort haben sie gesehen, wie eine Leiche zerstückelt wurde. Das war ein ähnlich emotionaler Schock. Das dritte war ein Stunde Boxunterricht. Ich sage, "ihr müsst euch durchs Leben boxen" und dann mussten Frauen wie Männer boxen. Das hat ihnen Spaß gemacht und ich glaube, das hat auch einiges bewirkt.
Das Gespräch führte Katja Weise.