Renate Reinsve über die norwegische Oscar-Hoffnung "Armand"
Renate Reinsve spielt voller Furore in "Armand", ab sofort im Kino, die allein erziehende Mutter eines Sechsjährigen, der angeblich etwas Schlimmes in der Schule verbrochen hat. Der preisgekrönte Debütfilm von Halfdan Ullmann Tøndel ist Norwegens Oscar-Hoffnung.
Seit 2021 ist Renate Reinsve eine der beliebtesten Schauspielerinnen im europäischen Kino. Damals spielte sie in Joachim Triers "Der schlimmste Mensch der Welt" eine erwachsene Frau voller Ambivalenzen. Dafür erhielt sie beim Filmfest Cannes die Palme als beste Schauspielerin. Letztes Jahr war die heute 37-Jährige in gleich zwei Filmen im Kino zu sehen, etwa in "A Different Man" mit Sebastian Stan - und in einem Zombiefilm.
Norwegens Oscar-Hoffnung als bester internationaler Film "Armand"
Nun kommt mit "Armand" ein Filmdebüt von Halfdan Ullmann Tøndel ins Kino, das bereits mehrfach preisgekrönt wurde. Etwa als bester Debütfilm beim Filmfest Cannes und bei den Europäischen Filmpreisen 2024. Das Drama mit einigen surrealen Elementen ist Norwegens Oscar-Hoffnung für den besten internationalen Film - und steht noch auf der Shortlist in dieser Kategorie. Die Nominierungen werden am 23. Januar bekannt gegeben.
Im Film kämpft die allein erziehende Schauspielerin Elisabeth um ihren Sohn, der angeblich etwas Fürchterliches getan haben soll. Das jedenfalls erzählt die Lehrerin des sechsjährigen Armand der am Nachmittag einbestellten Mutter. Diese rast in ihrem Auto zur Schule, hechtet den Flur zum Klassenzimmer entlang, wo die Lehrerin auf sie wartet.
Allein erziehende Mutter: Wie ein Rachefeldzug in einem Western
Renate Reinsve hat mit NDR Kultur über den Film gesprochen und freut sich zu hören, sie würde wie bei einem Rachewestern den Flur entlangstürmen, mit dem Geräusch ihrer mit Metall besetzten Stiefel, als seien diese mit den Sporen besetzt: "Ich liebe diesen Vergleich", sagt sie. "Der Sound meiner Schuhe und der Schritte der anderen Eltern des anderes Kindes klingen so, als würden wir in eine Schlacht ziehen", merkt sie an. Diesen Film hat sie länger mit Regisseur Halfdan Ullmann Tøndel geplant, einem engen Freund, mit dem sie zuvor einen Kurzfilm gedreht hatte. Tøndel ist der Enkel der Filmlegenden Liv Ullman und Ingmar Bergmann. Er hat bislang aber bewusst keine Filme gedreht. Der Künstler hat das Skript zu "Armand" geschrieben und Reinsve präsentiert. Sie sagt, " es ist das das Beste, was ich je gelesen habe".
Einen Tag lang eine Lachszene gedreht
Eine Szene im Drehbuch hat sie aber mit Ehrfurcht gelesen und behauptet: "Das geht nicht, das kann man gar nicht spielen". Die unvergessliche Szene ist die, in der die Lehrerin und die anderen Eltern dem sechsjährigen Armand unterstellen, der Junge habe einen Gleichaltrigen körperlich missbraucht. Daraufhin bricht Elisabeth in einen Lachkrampf aus.
"Wenn sie so lacht, bedeutet das, sie wird verrückt. Sie hat nicht mehr alle Sinne beisammen", meint Reinsve. Das Filmteam hat einen Tag lang nur diese Szene gedreht. "Und Halfdan hat mehr Lachen gewollt, und mehr. Es war etwas beängstigend, diese Szene zu machen. Ich habe ein wenig die Kontrolle verloren, es war aber auch ein Geschenk, so weit gepusht worden zu sein - und das Vertrauen des Regisseurs zu haben." Zwar liebt sie das Körperliche an der Arbeit. Speziell eine choreographierte Tanzszene, die den Film etwas ins Surreale rückt, war eine Herausforderung. Aber: "Als ich den fertigen Film gesehen habe, habe ich mich so gefreut, denn diese Szene ist fantastisch", freut sich Reinsve.
Grenze zwischen Ehrlichkeit und Manipulation
Dass ihre Figur negativ konnotiert ist und vielleicht vom Publikum gar nicht gemocht wird, ist der Norwegerin bewusst. Aber ihr war klar, dass jemand, der sein Kind verteidigt, über Grenzen gehen und sehr unfreundlich wirken kann: Unter Druck für die eigene Wahrheit zu kämpfen, kann unangenehm für alle sein. Hier ist jeder die schlimmste Version seiner selbst." Zumal ihre Figur viel Schmerz aus früheren Erfahrungen mit sich trage. "Für mich war es wirklich herausfordernd, nicht zu wissen, wann meine Figur nun ehrlich, wann manipulativ ist. Um das wahrhaftig spielen zu können, musste ich all diese Regungen irgendwo in mir selbst finden. Das war wirklich sehr heftig. Und ich habe nach den Drehtagen lange gebraucht, wieder meinen Frieden zu finden."
Dass ihre Figur trotzdem gemocht werde und man mit ihr mitleide, liege vielleicht daran, "dass ich mich beim Spielen sehr öffne, vulnerabel bin. Und dass ich so spiele, dass meine Figur ihre Dinge aus der Liebe heraus tut." Ihre Rolle der Elisabeth sei "eine Übung in Empathie".