Hermine Huntgeburth: Sie macht ihr Ding
Hermine Huntgeburth ist einzigartig im deutschen Film-Geschäft. Sie hat Krimis, Komödien und Kinderfilme gedreht, aber auch Klassiker verfilmt. Mit dieser Genre-Vielseitigkeit hat die in Hamburg lebende Regisseurin schon vier Grimme-Preise eingeheimst.
Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte steht der NDR. 1991 produziert Huntgeburth für den Sender den Spielfilm "Im Kreise der Lieben" - eine schwarze Komödie um Heiratsschwindelei - und gewinnt prompt den Bundesfilmpreis in Gold für die beste Nachwuchsregie.
Eine Art "Geburtshelfer" für die damals 34-Jährige ist der NDR Redakteur Eberhard Scharfenberg: "Der hatte das Motto: Wenn ich mit jemanden arbeite, dann arbeite ich drei Mal mit ihm oder ihr zusammen. Auch wenn der erste Film gut war, wird der zweite Film meistens schlechter, deshalb braucht man drei Chancen, um sich richtig zu beweisen. So ein Vertrauen stärkt einen ungemein", sagt Huntgeburth in einem Interview mit dem "Spiegel".
Jeder Film ein Erfolg
Bei der gebürtigen Paderbornerin bewährt sich das frühe Vertrauen. Vor allem, weil dem ersten Erfolg eine fast dreijährige Durststrecke folgt. Aber danach startet sie durch, vielleicht auch, weil sie ihre Figuren gerne mal gegen den Strich besetzt: Macho Götz George lässt sie einen stockschwulen Taschendieb spielen, die selbstbewusste Katharina Thalbach mimt eine vom Leben angeknackste Frau: "Das ist ja das Spannende. Diese Diskrepanz zwischen Rolle und Darstellerpersönlichkeit", so die Regisseurin.
Fast jeder ihrer Filme wird ausgezeichnet: 2002 gibt es den Grimme-Preis für "Romeo", 2005 den Deutschen Fernsehpreis für "Der Boxer und die Friseuse". Für "Teufelsbraten", die Verfilmung von Ulla Hahns Roman "Das verborgene Wort", erhält Huntgeburth den Bayerischen Fernsehpreis (2008) und den Grimme-Preis (2009). Ebenso für "Neue Vahr Süd" (2011) nach dem gleichnamigen Roman von Sven Regener.
Im gleichen Jahr gibt es den Gilde-Filmpreis für "Tom Sawyer", drei Jahre später den Deutschen Regiepreis Metropolis und ihren vierten Grimme-Preis für das Familiendrama "Männertreu".
Hermine Huntgeburth: Nicht auf eine Richtung festgelegt
Die (Erfolgs-)Liste zeigt: Auf ein Genre lässt sich die Hamburg lebende Huntgeburth nicht festlegen. Dem erfolgreichen Kinderfilm "Bibi Blocksberg" (2002) folgt drei Jahre später die dramatische Verfilmung des Bestsellers "Die weiße Massai", der erfolgreichste deutsche Film des Jahres 2005. 2020 bringt sie mit dem Biopic "Lindenberg! Mach Dein Ding!" das Leben von Musiklegende Udo Lindenberg auf die große Leinwand. Nach der Tragikomödie "Ruhe! Hier stirbt Lothar" (2021) dreht sie ein Jahr später die Comedy-Miniserie "Die Wespe", in der es um den Abstieg eines Darts-Champions geht. Die zwei Staffeln sind mit Florian Lukas, Peter Lohmeyer, Leonard Scheicher (aktuell zu sehen im Kinofilm "Der vermessene Mensch") und Meret Becker hochkarätig besetzt.
"Es ist furchtbar, wenn man auf eine Richtung festgelegt wird. Nie dasselbe noch einmal!", sagt die 65-Jährige der Tageszeitung "Die Welt". Eines zieht sich aber beinahe wie ein roter Faden durch (fast) alle Huntgeburth-Werke: Sie sind vielschichtig, oft witzig, auf feine Art humorvoll, manchmal tragisch, immer berührend.
Arzttochter mit neun Geschwistern
Aufgewachsen ist die Regisseurin in einer Arztfamilie als eines von zehn Kindern (sechs Schwestern und drei Brüder): "Das ist ein sehr lebendiges Leben. Man ist nie allein und hat viele Freunde innerhalb der Familie. Das Haus war immer voll." Wohl deshalb bezeichnet sich Huntgeburth bis heute als Familienmensch. Inzwischen lebt sie mit Mann und erwachsener Tochter in Hamburg-Ottensen.
Nach ihrer Kindheit hat sie sehr schnell den Wunsch, der kleinstädtischen Enge zu entfliehen. Kino und Bühnen faszinieren sie, als Garderobenmädchen jobbt sie im Theater. Sie will aber nicht schauspielern, immer schon schwebt ihr die Regie vor: Das Spannende an dem Beruf sei, dass man "vom ersten bis zum letzten Moment den Schaffensprozess des Films" begleite und "die künstlerische Gesamtverantwortung" habe: "Dabei arbeitet man mit starken kreativen Kräften zusammen wie zum Beispiel Buch, Kamera und Schauspielern. Was ich nicht so gern mache, ist das Synchronisieren."
"Das war eigentlich ein sehr naiver, fantastischer Wunsch. Witzigerweise ist er wahr geworden." Hermine Huntgeburth über ihren Berufswunsch Regisseurin
Die Filmhochschulen in Berlin und München lehnen sie ab. Doch so schnell gibt Huntgeburth nicht auf. Sie schreibt sich in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste in den Studiengang "Visuelle Kommunikation". Weil es keine Spielfilm-Abteilung gibt, macht sie am Theater Assistenzen, "um das Inszenieren zu lernen". Drehbücher zu schreiben, lernt sie in Australien, wo sie nach dem Examen mit einem Stipendium für eine Weile studiert. Nach ihrer Rückkehr beeindruckt sie in Deutschland mit Kurzfilmen und erhält schon für ihren ersten großen Film Unterstützung von der Hamburger Filmförderung.
Engagement für Frauen-Quote
Als Frau ist Huntgeburth eine Ausnahmeerscheinung im Film-Business. Denn die Zahlen, die die Rostocker Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer regelmäßig auswertet, belegen, dass das Geschlechterverhältnis bei deutschen Film-Produktionen genauso unausgewogen ist wie in Hollywood.
"Wir liegen bei ungefähr 20 Prozent weiblicher Regisseurinnen - und das seit Jahren. Und trotz aller Bekenntnisse, wir wollen was verändern, tut sich im Kino gar nichts", so Prommer. Huntgeburth, Mutter einer erwachsenen Tochter, engagiert sich deshalb im Verein Pro Quote Regie dafür, dass mindestens 30 Prozent der Aufträge für deutsche Film- und Fernsehproduktionen an Regisseurinnen vergeben werden. Eine moderate Forderung, meint sie: "Man könnte ja auch sagen, die Männer waren eine ganze Zeit dran, deshalb jetzt 100 Prozent für die Frauen."
Immer auf der Suche nach Herausforderungen
Was ist das Erfolgsgeheimnis ihrer Arbeit? "Ich habe keine Ahnung", antwortet sie einmal in einem Interview. "Ich habe auch Glück gehabt und bin von den richtigen Menschen begleitet worden. Ich bin in meinem Leben nicht strategisch vorgegangen, sondern habe immer das gemacht, was mich wirklich interessierte. Vielleicht ist das das Geheimnis, denn man braucht sehr viel Kraft, um einen Film durchzuziehen, auch wenn alle anderen müde sind."
"Eins habe ich wohl richtig gemacht, ich habe immer nur genau das getan, was ich wollte. Ich habe meinem Instinkt getraut." Hermine Huntgeburth
Mehr als 30 Filme hat Huntgeburth inzwischen gedreht, "Polizeiruf 110" und ARD-"Tatorte" mitgezählt. Das macht seit ihrem Debütstreifen "Im Kreise der Lieben" nahezu einen pro Jahr. So hat sie sich das Selbstvertrauen und den Status erdreht, auch Projekte ablehnen zu können: "Ich frage mich: Was ist eine Herausforderung? Was will ich wirklich machen? Was ist mir wichtig? Und danach suche ich meine Projekte aus." So darf man gespannt sein auf weitere Huntgeburth-Filme, denn: "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich am Anfang stehe. Aber am Ende bin ich auch noch nicht."