Dokumentarfilmer Dieter Schumann zum 70.: "Mich faszinieren die Menschen"
Der Mecklenburger Dieter Schumann ist einer der erfolgreichsten deutschen Dokumentarfilmer. Jetzt mit 70 Jahren hat er beschlossen: Die nächsten zehn Jahre werden seine besten. Eine Begegnung.
Dieter Schumann hat in der DDR Rockmusiker und Jugendliche für seinen Film "flüstern & SCHREIEN" begleitet, dokumentierte in "Wadans Welt" die Sorgen Wismarer Werftarbeiter und unterhielt sich mit Boizenburgern im Kiosk "Neben den Gleisen". 2014 wurde Dieter Schumann mit dem Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet.
Mit dem Küstenmotorschiff nach England
Als junger Mann wollte Dieter Schumann raus aus der DDR, die Welt sehen und so fuhr er zur See. "Aber ich habe dann relativ schnell festgestellt, dass mich die Menschen fasziniert haben. Ich bin ein Jahr lang mit einem Kümo (Abkürzung für Küstenmotorschiff, Anm. d. Redaktion) nach England gefahren. Dort sei er mit Hafenarbeitern, sogenannten Dockern, in Kontakt gekommen, erinnert er sich. "Mich haben diese einfachen Leute so interessiert, die Hafenarbeiter, die so kernig waren." Da habe er gemerkt: "Eigentlich interessieren Dich Geschichten - und zwar die vom Menschen."
Kinoerfolg mit Dokumentarfilm über Lebensgefühl der jungen Leute in der DDR
Mit Mitte 20 fing Dieter Schumann an, in Potsdam-Babelsberg, Regie zu studieren. Als er damit fertig war, sollte er im damaligen Ostseestudio Rostock die Sendung "Klock acht, achtern Strom" mit Moderator Horst Köbbert übernehmen. Während seiner Studienzeit habe er sich jedoch auf den Dokumentarfilm besonnen: "Da ging das hin und her." Er habe dann gesagt, er mache keine Unterhaltung. So sei er nach der Filmhochschule zunächst arbeitslos gewesen.
Dokumentarfilmregisseure und -regisseurinnen wie sein Mentor Winfried Junge und Gitta Nickel setzten sich aber für den Nachwuchsregisseur ein. So konnte Schumann Mitte der 80er-Jahre einen Film über Rockmusik drehen: "Unser Herz schlug für das, was wir nicht erreichen konnten, nämlich die Westmusik. Es gab auch eine Menge an Bands, an Musik, die das Lebensgefühl, das heimischen Lebenszeichen in der DDR, ausgedrückt haben: wie Silly, wie Karat in ihrer Romantik." Der Dokumentarfilm "flüstern & SCHREIEN" wurde ein Kinoerfolg, weil er offenbar das Lebensgefühl vor allem der jungen Leute in der DDR traf.
Erstes Konzert von Rammstein dokumentiert, Film unter Verschluss
Teil zwei des Dokumentarfilmes, eine Auftragsproduktion von MDR und ORB, lief 1995 jeweils nur einmal in beiden Regionalprogrammen. Seither ist der Film von Dieter Schumann unter Verschluss: "Wir haben das letzte Konzert vom Feeling B und das erste von Rammstein und ein bisschen die Anfangszeit von Rammstein dokumentiert. Da hatten die noch kein Management. Da hat Flake für Rammstein auf einem Handzettel unterschrieben: 'Hier übertragen wir die Rechte an unserer Musik für 250 Mark'. Der Produzent konnte später in einem jahrelangen Prozess nicht nachweisen, dass diese 250 Mark geflossen sind. Er hatte keine Quittung. Daraufhin hat Rammstein gesagt: 'Nö, du hast du eine Verpflichtung nicht eingelöst', insofern gibt es da keine Rechte", berichtet Schumann.
Das ist eine Geschichte aus der Gründungszeit von Rammstein, als noch nicht absehbar war, welche Karriere die Musiker einmal einschlagen werden, auch nicht mit Blick auf die aktuellen Vorwürfe der sexuellen Übergriffe gegenüber Frauen.
Menschen aus Mecklenburg in Dokumentarfilmen Schumanns
Der gebürtige Ludwigsluster Dieter Schumann hat sich in den vergangene 20 Jahren mit seinen Filmen vor allem immer wieder Menschen aus Mecklenburg genähert - dokumentarisch: "Das ist auch der große Unterschied zum Spielfilm. Da bist Du immer in künstlichen Milieus. Im Dokumentarfilm ist es so, dass Du eben für Dich persönlich viel Lebenserfahrung und unterschiedliche Sichtweisen mit aufnehmen kannst. Es ist ein wunderbarer Schatz, den Du nicht mit irgendetwas anderem vergleichen kannst. Was ist mir wichtiger, dieser Film mit den Werftarbeitern oder der mit den Diakonissen? Wie soll ich das aufwiegen?"
Dieter Schumann findet unter seinen Filmen keinen, den er besonders hervorheben möchte. Der nächste ist bereits fertig: "Dann gehste eben nach Parchim" über junge Theaterleute in der Provinz. Dieser ist für das Festival DOK Leipzig im Oktober 2023 eingereicht und soll voraussichtlich im Frühjahr 2024 in die Kinos kommen. Dieter Schumann sagt, er habe beschlossen, die nächsten zehn Jahre werden seine besten. Nicht im Ruhestand, sondern mit weiteren Dokumentarfilmen. Ideen hat der Mecklenburger jedenfalls.
Ein ausführliches Gespräch mit Dieter Schumann ist am Sonntag im Kunstkaten ab 19 Uhr bei NDR 1 - Radio M-V zu hören - und bereits jetzt in der ARD-Audiothek.