Was macht eigentlich die Poetry-Slam-Szene?
Viele erfolgreiche Kulturschaffende wie Sophie Passmann oder Torsten Sträter haben auf der Bühne eines Poetry Slams angefangen. Vor knapp zehn Jahren war das Format in aller Munde. Wo steht es jetzt - und welche Spuren haben die Krisen der Zeit hinterlassen?
Frech und herausfordernd ist der Blick dieser Mittzwanzigerin, als sie die Bühne betritt. Ausgerechnet im Süden, vor bayerischem Publikum, trägt Mona Harry 2015 bei einem Poetry Slam ihr "Liebesgedicht an den Norden" vor.
Wir haben Jollen und Kutter und Ebbe und Flut
Haben Schollen und Krabben und Hafengeruch
Und die Kräne und Möwen in salziger Luft
Am Ufer sitzen, bis das Fernweh mich ruft
aus "Liebesgedicht an den Norden" von Mona Harry
Der sympathische Nord-Patriotismus kommt an. Ihr Auftritt macht die in Kiel lebende Poetin in kürzester Zeit bekannt.
Mona Harry: Hobby wurde zum Beruf
2011. Mona Harry beginnt ihr Lehramtsstudium - und macht zum ersten Mal bei Poetry-Slams mit. Aus dem Hobby wird ihr Beruf. "Es ist toll, dass man dort auch mal einen ruhigen Text vortragen kann, der sonst nie ein breites Publikum erreicht hätte", erzählt die Slam-Poetin. "Die Leute gehen zum Poetry Slam, um einen sehr bunten Abend zu erleben. Das ist ja gerade auch die Stärke des Formats, dass eben kein Genre vorgegeben ist und dass sowohl die lustigen und lauten Beiträge als auch die leisen und künstlerischen Beiträge sehr profitieren von dieser Durchmischung."
Der "Julia-Engelmann-Moment"
Der Spoken-Word-Wettbewerb zieht Publikum. Sein Ursprung liegt in den 1980er-Jahren in Amerika. Das Team von "Kampf der Künste" veranstaltet seit 2005 Poetry Slams in ganz Norddeutschland. Am Anfang war es ein Nischen-Format der Kleinkunstszene. "Und dann gab es 2014 den Julia-Engelmann-Moment", sagt Jan-Oliver Lange, Geschäftsführer von "Kampf der Künste".
Engelmann, damals Psychologie-Studentin, trifft mit ihrem euphorischen Text, vorgetragen bei einem Uni-Slam, einen Nerv. Das Video auf Youtube: mehr als 14 Millionen Mal geklickt. Poetry Slam ist angekommen im Mainstream. Poetinnen und Poeten sind zu Gast in Fernseh-Talkrunden, schreiben Bücher, machen CDs. Und auch wenn der große Hype inzwischen vorbei zu sein scheint: das Stamm-Publikum bleibt. "Kampf der Künste" veranstaltet 200 Slams pro Jahr. Erst Anfang Januar kamen 6.000 Menschen zum "Best of Poetry Slam Day" in die Elbphilharmonie. Die Slams im Ernst-Deutsch-Theater oder der Laeiszhalle sind meist ausverkauft.
Corona-Krise sitzt Poetry Slam noch in den Knochen
Zögerlich sind die Veranstalter dennoch. Die Corona-Krise sitzt auch dem Poetry Slam noch in den Knochen, erklärt "Kampf der Künste"-Co-Chefin Elisa Fischer. Sie plant jetzt anders. "Das ist alles viel kurzfristiger geworden. Ich denke gerade eher bis zum Sommer dieses Jahres und was ab Herbst ist, ist aufgrund der vielleicht bevorstehenden oder realen Krisen noch ein bisschen offen. Wir planen einfach mehr auf Sicht."
Karsten Strack, ebenfalls Slam Poet, hat 2003 den Lektora Verlag gegründet. Mit mehr als 100 Publikationen ist es inzwischen der größte deutschsprachige Verlag für Texte zum Thema Poetry Slam, darunter Bühnentexte, aber auch wissenschaftliche Analysen. Strack gibt als Dozent an Universitäten und Schulen Poetry-Slam-Seminare. An mehr als 100 Tagen im Jahr. Die Nachfrage ist groß. Die Krisen unserer Gegenwart verändern das Format. Die Texte auf den Slam-Bühnen seien in den vergangenen Jahren viel politischer geworden, stellt er fest.
"Bei vielen Texten fehlt mir ein bisschen die Poesie"
"Es geht ganz häufig um wirklich naheliegende Gesellschaftspolitik", erklärt Strack. "Es gibt ganz viele Texte, die Nachhaltigkeit und Umwelt thematisieren. Es gibt viele Texte, die Diversität thematisieren. Allerdings könnte mal wieder ein bisschen mehr Form zu dem Inhalt kommen. Bei ganz vielen Texten fehlt mir ein bisschen die Poesie. Ich persönlich mag halt gerne literarische Texte."
Mona Harry macht heutzutage rund fünf Poetry Slams im Monat. Leben kann man von Auftritten bei Poetry Slams nicht, sagt sie. Sie arbeitet außerdem als Moderatorin, Illustratorin und in Bildungsprojekten. "Grundsätzlich war es immer schon so, dass Poetry Slam ein Format ist, bei dem man wahnsinnig toll anfangen und Erfahrungen sammeln kann", erzählt die Kielerin. "Aber Poetry Slam selbst ist meistens nicht das, womit die Leute Geld verdienen. Es gibt natürlich inzwischen auch große Veranstaltungen in großen Häusern und da gibt es dann tatsächlich ein bisschen relevante Gage. Aber gerade bei den kleinen Veranstaltungen auf dem Dorf gibt es zum Schluss vielleicht noch eine Flasche Schnaps als Gewinn oder eben nicht und ansonsten nicht mehr als die Fahrtkosten."
Hamburg: Großer Andrang im Grünen Jäger
Ums Geld geht es also nicht, sondern darum, etwas zu sagen zu haben. Selbst überrascht ist Jan-Oliver Lange vom Andrang beim Nachwuchs, zum Beispiel alle zwei Wochen im Hamburger Grünen Jäger. Hier treten pro Abend zwölf Newcomer an. "Wir werden gerade echt so überrannt wie noch nie", so Lange. "Das ist unglaublich. Jetzt haben wir teilweise Wartezeiten von drei bis vier Monaten im Voraus. Ich hätte eigentlich gedacht, dass die Leute ein bisschen raus sind und ein bisschen dekonditioniert sind und dass es schwer wird, sie wieder zu begeistern. Aber irgendwie ist das Feuer von alleine wiedergekommen."