"Vögel" auf Lüneburgs Bühne - trotz Antisemitismus-Vorwürfen
Das Theater Lüneburg zeigt ab dem 11. Februar das umstrittene Stück "Vögel" von Wajdi Mouawad. In München wurde "Vögel" im November 2022 nach Antisemitismus-Vorwürfen abgesetzt - jüdische Studentenverbände hatten protestiert.
Das Stück "Vögel" von Wajdi Mouawad wurde seit seiner Uraufführung 2017 in Paris sehr erfolgreich unter anderem in Tel Aviv, Wien und Hamburg gezeigt. Allein in Deutschland auf 22 Bühnen. Es wurde das "Stück der Stunde" genannt - bis zum November vergangenen Jahres. Zwei jüdischen Studentenverbände hatten gegen die Inszenierung des Metropoltheaters in München protestiert. Das Stück sei antisemitisch und verharmlose den Holocaust, so zwei der Vorwürfe. Das Stück wurde abgesetzt, was eine breite Debatte ausgelöste. Nun feiert das umstrittene Stück des libanesisch-kanadischer Schriftstellers, der in Frankreich lebt, seit Beginn der Debatte erstmals wieder Premiere.
Stück über Trauma des Holocausts und Nahost-Konflikt
"Vögel" von Wajdi Mouawad ist die Geschichte einer Liebe, die nicht sein soll, zwischen einer Frau mit arabischen und einem Mann mit jüdischen Wurzeln, ein Stück über das Trauma des Holocausts und den Nahost-Konflikt. Eigentlich wollte das Theater Lüneburg "Vögel" schon vor zwei Jahren aufführen. Doch dann setzte die Corona-Pandemie den Plänen zunächst ein Ende.
Die geplante Premiere verschob sich - und dann platze im November die Antisemitsmus-Debatte über das Stück herein, sagt Friedrich von Mansberg, Chef-Dramaturg am Lüneburger Theater: "Ich hab gedacht: Jetzt nicht zu schnell reagieren, sondern lasst uns ein bisschen Zeit nehmen und gut überlegen, was zu tun ist. Einfach so zu tun, als wäre nichts, ist keine Option. Aber genau hinschauen lohnt sich, und das haben wir getan."
Chef-Dramaturg Mansberg spricht mit Verlag und Kritikern
Von Mansberg hat mit seinem Team vom Theater Lüneburg hat das Stück noch einmal genau gelesen und Kontakt aufgenommen: zum Verlag, zu einem ehemaligen Israel-Korrespondenten und zu jüdischen Verbänden. "So sind wir Schritt für Schritt an den Punkt gekommen, dass es sich lohnt, dieses Stück zu spielen. Es ist auch wichtig, ihm eine Rahmung zu geben, die der Kritik gerecht wird", betont Mansberg.
Offener Brief beklagt Shoa-Relativierung
Denn die Kritik ist heftig. In einem Offenen Brief des Verbands Jüdischer Studenten in Bayern und der Jüdischen Studentenunion Deutschland vom November 2022 heißt es: "Shoa-Relativierung und Vergleiche zwischen jüdischen Staat und Nazi-Deutschland werden immer wieder eingesetzt und vom Publikum mit starkem Applaus begrüßt." Und an anderer Stelle: "In 'Vögel' wird Holocaust-Relativierung sowie israelbezogener Antisemitismus salonfähig gemacht".
Es sind einzelne Sätze, an der sich die Kritik entzündet. Regisseur Mario Holetzeck: "Wenn zum Beispiel Lea sagt 'Gar nichts ist gut. Du bist ja nur den damaligen Gasöfen entkommen, Dich haben sie vergessen, in die Gasöfen zu schicken.' Das sind Sätze, die furchtbar sind. Aber: Diese Sätze dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden", sagt Holetzeck und erklärt seine Vorgehensweise: "Ich hab eine ganze Seite mit diesen Sätzen aufgeschrieben um zu sehen, was diese Sätze auslösen, wenn man sie liest. Aber ich weiß ganz genau, wie ich als Regisseur reagiere. Es geht darum, dass der Zuschauer begreift, in welcher emotionalen Situation die Person diese Sätze sagt."
Stück darf nicht kommentarlos gespielt werden
Trotz dieser heftigen Sätze ist Holetzeck überzeugt: Dieses Stück ist nicht antisemitisch, es ist ein Stück der Versöhnung: "Es geht in dem Stück als Gesamtaussage darum, dass man die Mauern überwinden muss, um einander näher zu kommen. Man muss einander zuhören, und deshalb ist das Stück etwas Wertvolles." Für das Theater Lüneburg ist aber ganz klar: Weil die Antisemitismus-Vorwürfe im Raum stehen, darf das Stück nicht kommentarlos gespielt werden.
Einführungsveranstaltung für Interessierte
Deswegen hat das Theater schon eine Woche vor der Premiere Interessierte zu einer Einführungsveranstaltung eingeladen. Auf dem Podium dabei war auch Herwig van Nieuwland, Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lüneburg. "Natürlich gibt es kontroverse Meinungen, die gibt es auch bei uns in unserer Gesellschaft. Das Echo auf das Stück ist ganz unterschiedlich. Das geht von 'Das geht ja gar nicht' , 'Verharmlosung des Holocaust', bis zu 'Wo ist das Problem?'. Das ist Theater - und Theater ist Kunst und Kunst darf und soll provozieren und schwierige Themen angehen", meint van Nieuwland.
Weitere Diskussionsrunden und ein Podiumsgespräch
Die Resonanz auf die Einführungsveranstaltung war groß - fast 200 Interessierte sind gekommen. "Ich finde es klasse, dass das Theater das anpackt und sich nicht zurückschrecken lässt, sondern dass sie das Stück gut einbetten in viele Informationsveranstaltungen", erklärt eine Teilnehmerin. Eine weitere findet, die Veranstaltung sei "eine gute Gelegenheit, Argumente zu finden, dass so etwas gespielt werden kann". Das Theater Lüneburg bietet auch weiterhin Raum für Debatten. Nach jeder Vorstellung können die Zuschauer*innen mit den Theatermachern über das Stück diskutieren. Am 19. Februar wird es außerdem ein Podiumsgespräch geben.
"Vögel" auf Lüneburgs Bühne - trotz Antisemitismus-Vorwürfen
Das umstrittene Stück von Wajdi Mouawad feiert am 11. Februar Premiere. Begleitend bietet das Theater Raum für Diskussionen.
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Theater Lüneburg
An den Reeperbahnen 3
21335 Lüneburg - Telefon:
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- Preis:
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Dienstags bis samstags: 10 - 13.30 Uhr und 17 - 19 Uhr
Vorstellungskasse jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn
Mo, So und feiertags: nur Veranstaltungskasse ab 1 Stunde vor Beginn