Mona Harry: "Wir brauchen mehr Diversität im Poetry Slam"
Mona Harry ist vor allem als Poetry Slammerin bekannt. Jetzt hat sie einen persönlichen Reiseführer veröffentlicht: "Ins Blaue - 20 Radtouren im Land zwischen den Meeren."
Möwen im Gleitflug, Schafe auf dem Deich, ein stürmischer Seewind. Die gebürtige Ahrensburgerin Mona Harry schreibt oft über die Natur Schleswig-Holsteins. Aufsehen erregt hat 2015 ihr Poetry-Slam-Beitrag "Liebeserklärung an den Norden", der im Internet viral ging. Im Interview mit NDR Kultur spricht sie über das Fahrrad als Gefährten, ihre Liebe zur Natur und Poetry Slam als kreative Spielwiese. Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier. Das vollständige 30-minütige Gespräch können Sie in der ARD Audiothek oder als Podcast hören.
Bei Ihren Fahrradtouren läuft ja aber auch nicht immer alles glatt. Es gibt Unwetter, geplatzte Reifen, Sonnenstiche. Sie haben sich beide Arme gebrochen - zum Glück nicht gleichzeitig. Sind Sie auch mal vom Fahrrad genervt?
Mona Harry: Ja, besonders dann, wenn man von A nach B oder zurück kommen muss und der Regen einsetzt. Oder der Wind oder Hagel. Es gibt auch schon Gelegenheiten, wo man dann denkt: 'Ach ne, warum jetzt überhaupt? Warum muss das jetzt eigentlich sein?' Oder das Fahrrad auch selber nervt.
Ihr Buch beginnt mit dem Text "Ins Blaue". Mögen Sie uns den mal vorlesen?
Harry: Aber selbstverständlich:
Ausufernd hab ich Konturen gezeichnet. Ausufernd will ich die Linien bereisen, Drahtesel gesattelt, Ungeduld mitgenommen. Ich habe nach Wegen gefragt und habe Farbe bekommen. Blaue Stunden im Rücken, Fernweh, Blau im Gepäck. Und die Ziele sind in den Blaupausen versteckt. Blau machen, blau sehen, blau hinter den Ohren, im Blauton des Nebels, den Fokus verschoben. Zum Blautöne sammeln, ins Wetter, ins Nass, ins Sommertagsblau ins Wasser, ins Watt, wo sich Himmel und Weite in der Ferne verbinden. Da ist Ankommen, oft in Bewegung zu finden. Ich habe nach Rat nicht gefragt, doch ein Fahrrad gefunden, und dann am Horizont Linien in die Speichen gebunden. Mit Fahrtwind im Haar, auch an windstillen Tagen. Mein Fahrrad gibt dieser Landschaft den Rahmen, und ich mag dieses Herbe, das Schroffe, das Raue. Ich mag diese Richtung. Der Weg führt ins Blaue. Leseprobe
Ob beim Poetry Slam oder in Ihrem neuen Buch: Ihre Texte erzählen oft von der Natur. Da gibt es Wetterphänomene, die beschrieben werden, die Landschaft, die Tiere. Ich denke nur an Möwen, Quallen, Schafe. Was bedeutet Ihnen die Natur?
Harry: Immer schon sehr, sehr viel. Tatsächlich wollte ich erst Forscherin werden. Dann wollte ich Tierärztin werden, dann wollte ich Biolehrerin werden. Auf jeden Fall ging es mir immer darum, nah an der Natur zu sein - in der Natur zu sein und vor allem auch, anderen die Natur und den Wert davon nahezubringen. Und vielleicht tue ich das jetzt indirekt in meinen Texten immer noch so ein bisschen mit. Weil es auch einfach der Ort für mich ist. Der Ort, an dem ich merke, wenn ich zu lange nicht dort war, dass mir was fehlt, das irgendetwas in mir nicht mehr so richtig schwingt. Ein Ort, den es aber auch zu bewahren und zu behüten gilt. Wo einfach so unfassbar viel auch aktuell nicht auf einem guten Weg ist. Die Begeisterung für die Natur ist vielleicht auch etwas, was uns mehr dahin bringt zu verstehen, dass es auch etwas Bewahrenswertes ist.
Was meinen Sie? Was ist nicht auf einem guten Weg?
Harry: Klimawandel ist einfach ein sehr großes Thema und natürlich auch so etwas wie Artensterben. Das hängt natürlich auch sehr stark zusammen. Ich glaube, ich hatte das vor einer Weile bei einem Auftritt. Ich habe im Norden eine Lesung gehabt und hinterher kam ein älterer Mann zu mir und sagte, der Text sei so ein gutes, aber auch trauriges Zeitdokument, weil er eine Landschaft beschreibt, die es vielleicht bald so gar nicht mehr gibt. Und da dachte ich, ja, da ist leider viel dran. Ich glaube, dass wir verstehen müssen: Wenn wir nicht langsam ins Handeln kommen, was die Klimakatastrophe angeht, dass dann vieles von dem, was wir an Natur so schätzen, einfach irgendwann nicht mehr da ist.
Kann Ihr Schreiben, die Reaktion dieses Herren zeigt das ja, auch so eine Erkenntnis bringen? Ein Bewusstsein für unser unsere Klimaverantwortung zum Beispiel?
Harry: Ich hoffe es manchmal, und vielleicht passiert das manchmal. Es ist so schwer, wenn einen ein Thema wie zum Beispiel die Klimakatastrophe selber so lähmt und so unfassbar bedrückt, das dann in Worte zu fassen - weil häufig aus einer Lähmung heraus kreatives Schreiben, nicht so richtig gut funktioniert. Ich habe auch einen Text über Klima, der dann wiederum aber ganz anders ist, wo es eher um die Nebenschauplätze geht und darum, wie wir Debatten führen oder wie wir sie nicht führen sollten, aber wie wir es tun zu dem Thema. Da wiederum kommen häufig Leute hinterher zu mir und sagen: Das hat irgendetwas verändert für mich im Blick darauf, und das freut mich sehr. Ich will das eigentlich noch viel mehr machen. Vielleicht kann sich da auch Schreiben dem Aktivismus ein bisschen mehr annähern.
Die Landschaft, die Sie umgibt - wie wichtig ist die fürs Schreiben?
Harry: Ich brauche die Landschaft und vor allem die Natur - vielleicht gar nicht diese Landschaft hier aber grundsätzlich Landschaft und Natur -, um mich selber gut zu fühlen. Ich stelle fest, dass vor allem, wenn ich mich gut fühle und eine gewisse Ruhe in mir habe, dann kann ich schreiben. Häufig ist es ja so, dass man dieses Klischee im Kopf hat, KünstlerInnen müssen richtig leiden, damit sie was zum Schreiben haben. Nur aus dem Schmerz heraus entsteht Kunst. Aber ich glaube, dieses Klischee stimmt nicht. Ich glaube, vielen KünstlerInnen geht es nicht gut, und viele KünstlerInnen haben auch psychische Probleme. Aber in der Regel schreiben sie oder machen nicht deswegen Kunst, sondern trotz dessen. Ich glaube ja, für mein Wohlbefinden ist es wichtig, in der Natur zu sein, und für mein Schreiben ist es ein wichtiger Teil, sich wohl zu fühlen.
Geboren sind Sie 1991, aufgewachsenen Ahrensburg. Studiert haben Sie Kunst und Philosophie auf Lehramt in Hamburg. Sie leben in Kiel, und dann legen Sie jetzt einen Band mit 20 Fahrradtouren vor. Da erfahren wir: Am Sylter Strand haben Sie geknutscht, in Flensburg haben Sie sich in jemanden verliebt und in Dithmarschen eine Tour erschöpfungsbedingt abgebrochen. Sind Sie, gemessen an ihren vielen Erfahrungen, eine Norddeutschland-Expertin?
Harry: Ich bin vielleicht eine Expertin für mein eigenes Leben in Norddeutschland. Aber wahrscheinlich ist das ja auch ein Teil des Expertentums, dass man sich dessen bewusst ist, vieles nicht zu wissen. Das ist ja meistens so, dass diejenigen, die denken, sie wüssten alles, ganz und gar keine ExpertInnen sind.
Aber Sie verfahren sich auch schon mal auf Ihren Radtouren. Oder?
Harry: Ich verfahre mich hemmungslos, weil ich sehr schlecht darin bin, regelmäßig anzuhalten und auf Karten zu gucken. Ich bin dann eher so 'Kopf durch die Wand', das wird schon stimmen. Und wenn dann der Weg irgendwann endet, dann bin ich auch eher: Okay, dann trage ich mein Fahrrad ein Stück. Bloß nicht umkehren! Es ist keine kluge Entscheidung, wie ich immer wieder feststelle. Klüger wäre es umzudrehen. Manchmal ist ein Weg, in die andere Richtung gefahren, auch schön, weil man ihn noch mal anders sieht. Aber da ist es vielleicht die Ungeduld in mir, die mich selten dazu bringt, so vernünftig zu fahren. Meistens fahre ich eher unvernünftig.
Sie haben es gerade schon erwähnt: Aufsehen erregt hat Ihr Text: "Liebeserklärung an den Norden." Da schwärmen Sie für die Schönheit Norddeutschlands, aber auch für das kantige, das Störrische oder das Unwetter und die wortkargen Menschen. Diesen Text haben Sie beim Poetry Slam 2015 in Deggendorf vor bayrischem Publikum vorgetragen. Ein Video davon hat das Wirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein auf YouTube gepostet. 750.000 Mal wurde allein dieses Video angeschaut. Hat Sie dieser Erfolg und dieses Interesse überrascht?
Harry: Ja definitiv. Es hat mich auch insofern überrascht, als dass ich erst im Nachhinein davon mitbekommen habe, dass dieser Text viral ging. Weil das Wirtschaftsministerium nämlich darauf verzichtet oder vielleicht auch einfach vergessen hat, mich auch zu verlinken oder wenigstens namentlich zu erwähnen. Das heißt, ich habe das erst dann im Nachhinein von Bekannten erfahren, dass mein Text gerade die Runde macht. Ja, es hat mich überrascht, und das überrascht mich nach wie vor, dass mir immer noch Leute schreiben, die den Text neu entdecken, dass sie sich darin so wiederfinden und so berührt sind davon.
Weiterhin machen Sie mit bei Poetry Slams, mal als Slamerin, mal als Moderatorin. Was fasziniert Sie an diesem Format?
Harry: Meine Liebe dafür hat angefangen, als ich noch in der Schule war, in der Oberstufe. Da habe ich durch Zufall ein YouTube-Video davon gesehen und dachte mir, irgendwie begeistert mich diese Form, mit Sprache umzugehen. Dann, am Anfang meines Studiums, war ich mal bei einer Veranstaltung zum Zugucken und dachte: Das will ich auch mal machen. Ich habe auch dafür erst angefangen zu schreiben. Am Anfang war es vor allem so: Wow, das darf man auch mit Sprache machen! Ich habe gar nicht Literatur studiert. Ich habe gar keine Ahnung davon. Und trotzdem darf ich hier mit Sprache irgendetwas Verrücktes auf der Bühne machen. Das war für mich sowohl der Ansporn als auch ein Auskosten von meiner eigenen Begeisterung, mit Sprache etwas zu machen. Aber auch gleichzeitig diese Zuschreibung: Du darfst es auch, und es hat einen Wert, und jemand hört dir zu, und jemand sagt was dazu. Du kommst ins Gespräch mit Leuten über diese Texte. Und jetzt, mit so ein bisschen Abstand, muss ich sagen, dass ich es nach wie vor für ein Format halte, was relativ niedrigschwellig ist. Natürlich ist die Kritik daran, dass es schon vor allem junge AkademikerInnen-Kinder und Studierende sind, die auf der Bühne stehen, berechtigt. Wir brauchen auf jeden Fall noch mehr Diversität in dem Format.
Trotzdem schafft es weniger hohe Hürden als andere Einstiege. Literatur ist vielleicht ein großes Wort für Poetry Slam. Ich weiß gar nicht, ob ich Poetry Slam Literatur nennen würde - vielleicht muss man das einfach auch nicht. Vielleicht ist eben okay, dass es diese Spielwiese daneben ist, in der Literatur auftauchen darf, aber nicht muss, und jemand auch einfach totalen Blödsinn auf der Bühne machen kann. Hauptsache, es ist irgendetwas, was kreativ mit Sprache umgeht. Für mich persönlich war es niedrigschwellig. Ich komme nicht aus einem Akademikerhaushalt. Für mich ist vieles, was ich dann später im Kunststudium gelernt habe, sehr weit weg von meiner eigenen Realität - und auch von dem, was ich an Medien oder an Kunst konsumiert habe. Für mich war es leichter, da einzusteigen als in irgendwas anderes. Ich denke nicht, dass ich sonst angefangen hätte zu schreiben.
Ich glaube, das geht vielen so. Das erlebe ich auch bei Workshops nach wie vor, dass da irgendwie ein Rahmen geboten wird, in dem Leute frei und ohne Vorgaben und ohne, dass es ins Metrum passen muss und ohne dass es ein Thema sein muss oder ein Genre, einfach frei durcheinander kneten können mit der Sprache. Dann ist es zur Hälfte Prosa, und zur Hälfte ist es total albern, und zur Hälfte ist es ernst. Dann ist hier plötzlich ein Reim drin, und das alles darf vorkommen. Das bietet eine große Freiheit, dass man auch über so Persönliches schreiben kann. Das Gefühl hilft gerade jungen Menschen festzustellen: Wow, da ist ein Rahmen, in dem ich so etwas Persönliches auf die Bühne bringen kann - oder zu Gehör oder auch nur auf Papier bringen kann. Manchmal ist es ja auch nur ein Anstoß zu schreiben, auch wenn es dann vielleicht gar nicht so enden muss. Poetry Slam bleibt einfach auch eine großartige Spielwiese, um sich auszuprobieren. Wir haben so viele tolle KünstlerInnen, die dann auch ganz andere Sachen später machen. Aber Erfahrung gesammelt haben sie auf Poetry Slam-Bühnen. Sei es eine Sophie Passmann oder ein Moritz Neumeier oder Till Reiners oder Hazel Brugger, die haben alle ihre Erfahrungen beim Poetry Slam gesammelt. Die haben da moderiert, die haben sich ausprobiert auf der Bühne. Felix Lobrecht kommt ja aus dem Format - es gibt viele Möglichkeiten.
Sie sagen, da fehlt Ihnen so ein bisschen die Diversität. Woran liegt es denn Ihrer Meinung nach?
Harry: Die fehlt natürlich in all diesen Bereichen, die irgendwie Aufmerksamkeit bekommen und Bühne bekommen. Ich glaube, wir kommen langsam dahin zu verstehen, dass unsere Gesellschaft lange schon diverser ist, als wir es zeigen. Dass man nun mal, wenn man in einem anderen Haushalt aufgewachsen ist, unterschiedliche Startbedingungen hat, unterschiedliche Möglichkeiten, irgendwo zu landen und vielleicht auch ein Gehör zu bekommen oder sich auch Dinge zuzutrauen oder nicht zuzutrauen. Es fehlt da immer noch viel. Zum Beispiel gar nicht nur People of Colour, aber auch so etwas wie inklusive Themen in Richtung Menschen mit Behinderungen. Auch da ist noch viel Spielraum, noch mehr Leute auf die Bühne zu holen. Aber man unterschätzt sich auch wiederum im Poetry Slam. Viele Menschen in der Szene wissen darum und haben zumindest eine noch größere Sensibilität an diesem Ort dafür, als es anderswo der Fall ist. Deswegen bietet es vielleicht auch Möglichkeiten, da eine Veränderungen anzustoßen. Ich habe das Gefühl, die ist zumindest schon deutlich mehr im Gang als in anderen Bereichen, auch gerade der Unterhaltungsindustrie.
Das Gespräch führte Juliane Bergmann.