Eine junge Frau sitzt auf einer Bühne mit Mikrofon in der Hand. © Morris Mac Matzen Foto: Morris Mac Matzen

"Hamilton" Hamburg: Denise Obedekah spricht über Diversitität

Stand: 05.08.2023 12:25 Uhr

Wer an Musicals wie "Der König der Löwen", "TINA" oder "Hamilton" denkt, könnte meinen, dass die Musical-Branche in Sachen Diversity gut aufgestellt sei. Doch ein Branchentreffen zeigt: Auch hier gibt es noch viele Baustellen!

von Anina Pommerenke

Sie sei oft die einzige schwarze Darstellerin gewesen oder sei für Rollen gecastet worden, für die es explizit schwarze Darsteller*innen brauchte, erzählt Denise Obedekah rückblickend über ihre Bühnen-Karriere. Heute ist sie die künstlerische Leiterin für das Musical "Hamilton" im Stage Operettenhaus in Hamburg. Zwanzig Jahre lang - bis vor anderthalb Jahren - stand sie auf der Bühne. Die strahlende Präsenz ist geblieben. 

Künstlerische Leitung nach zwanzig Jahren auf der Bühne

Nach dem Abitur absolvierte Obedekah eine Musical-Ausbildung in England, es folgten unzählige Bühnenjobs: Kreuzfahrtshows, Casino-Jobs, Open-Air-Touren und Ensuite-Produktionen - auch für ihren jetzigen Arbeitgeber Stage Entertainment. Beim Musical "Rocky" feierte sie im Operettenhaus in Hamburg ihre Premiere in der Welt der Musicals. Es folgte ein Engagement bei "TINA". Schließlich habe sie den Weg der künstlerischen Leitung eingeschlagen, schmunzelt Obedekah: Nach zwanzig Jahren auf der Bühne habe sich nun doch das ein oder andere körperliche "Wehwehchen" angemeldet. Dem Theater wollte sie trotzdem treu bleiben, "so kann ich auch die Erfahrungen, die ich in meiner Karriere gemacht habe, an junge Darsteller*innen weitergeben."

Diversität früher kein Thema

Diversity habe zu Beginn ihrer Karriere überhaupt keine Rolle gespielt, reflektiert Obedekah. Dass ihr erster Job, eine Casino-Show in Portugal namens "Sweet Soul Music", einen rein schwarzen Cast hatte, sei ihr damals gar nicht aufgefallen. Erst im weiteren Verlauf ihrer Karriere sei ihr dieser Umstand bewusst geworden. "Danach war es oft so, dass ich für die Shows der Diversity-Faktor war - die eine Person of Color, die man im Ensemble hat, um sich als divers auszugeben." Offen ausgesprochen wurde das freilich nicht. Überhaupt wurde nicht über Diversity diskutiert. 

Networking Day bei Stage Entertainment

Das hat sich mittlerweile geändert. Gerade erst hat Stage Entertainment zu einem Networking Day eingeladen. Im Fokus die Frage: Wo steht die Branche in Sachen Diversität, Fairness und Inklusion - was sollte und könnte noch getan werden? Auf dem Programm stand unter anderem ein Impulsvortrag von Araba Pilic - die Schauspielerin und Aktivistin ist Diversity Managerin bei der Stiftung Menschen für Menschen. Auf dem Podium saß neben weiteren Darsteller*innen der Hamilton-Crew auch die Sängerin Ivy Quainoo.

Als Person of Color ganz "normale" Geschichten erzählen

Eine Diskussionsrunde mit drei Menschen. Eine Frau in der Mitte spricht. © Morris Mac Matzen Foto: Morris Mac Matzen
In der Diskussionsrunde bei Stage Entertainment betont die Musical-Leiterin Denise Obedekah (M.), dass auch die Musical-Welt nicht so divers ist, wie viele denken.

Zunächst habe es eine Art Bestandsaufnahme der aktuellen Situation gegeben, berichtet Obedekah. Die Branche sehe oft divers aus auf der Bühne - das beschränke sich aber oftmals auf die Musicals, die thematisch so ausgerichtet sind, dass schwarze Darsteller*innen gebraucht werden, weil es beispielsweise um Rassismus oder Diskriminierung geht. Die Produktion Hamilton steche da insofern heraus, da die Besetzung bewusst aufgebrochen werde: Eine Geschichte von weißen Männern, die aber mit Darsteller*innen of Color besetzt ist: "So hat man als Person of Color die Möglichkeit, mal eine ganz normale Geschichte zu erzählen. Die Menschen stehen im Vordergrund und nicht das Trauma, das sie aufgrund ihrer Hautfarbe durchleben", ordnet Obedekah ein.

Kaum People of Color hinter den Kulissen

Gleichzeitig habe man reflektiert, dass Diversity im Theater wenn überhaupt auf der Bühne zu finden sei, "sobald man dann hinter die Kulissen und vor allem in die Führungsebene vieler Häuser schaut, sieht das leider ganz anders aus!" Obedekah ist überzeugt, dass man dort ansetzen müsse, wenn man in Zukunft neue Stoffe, Ideen und Blickwinkel ans Publikum bringen wolle. Das funktioniere ihrer Erfahrung nach nicht, wenn nicht schon die Entwicklungs- und Entscheidungsebene diverser aufgestellt sei. 

"Hamilton" erreicht breites Publikum

Gerade bei "Hamilton", führt Obedekah ein positives Beispiel an, konnte ein viel jüngeres Publikum angezogen und begeistert werden. Damit einhergehend bemühe man sich verstärkt, Communities zu erreichen, die für gewöhnlich nicht so viele Berührungspunkte mit dem Theater haben, zum Beispiel, weil sich die Eltern die Ticketpreise nicht leisten können oder aber auch die Vermarktung nicht auf solche Zielgruppen ausgerichtet ist. Genau dieses breitere Publikum müsse aber erhalten bleiben, wenn "Hamilton" im Herbst 2023 abgespielt sei, findet Obedekah. "Dafür brauchen wir Stücke, die dieses Publikum ansprechen!" 

Mit Diversität gegen Fachkräftemangel

Das Branchentreffen habe gezeigt, dass durchaus die Sorge besteht, dass diese zaghafte, sich in den Kinderschuhen befindende Entwicklung sogleich wieder einreißen könne. Die Produktion "Hamilton" habe etwa mit dem vom Hamburger Rapper Samy Deluxe gegründeten Verein Salut Deluxe kooperiert sowie mit der ersten HipHop-Klasse Deutschlands. Das Ziel: junge Menschen, auch mit Migrationshintergrund, zu erreichen, sowie Familien, die sich einen Besuch der Musikschule vielleicht nicht leisten können. Wie Obedekah berichtet, ging es dabei nicht nur darum, das Musical anzuschauen, sondern auch Einblicke in die Berufe hinter der Bühne zu erhalten. In Zeiten von Fachkräftemangel könne Diversität hinter den Kulissen ein richtiger Game-Changer werden.

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Mit Afro-Haar in die Maske - problematisch

Das sei übrigens kein rein deutsches Thema, berichtet Obedekah, sondern werde genauso in anderen Musicalstädten wie New York oder London diskutiert. "Ich glaube, weil die Gesellschaft dort diverser ist, hat man aber besseren Zugriff auf Fachpersonal. Also zum Beispiel Maskenbilder*innen, die sich besser mit Afro-Haar und den verschiedenen Hauttypen auskennen." Ein Thema, das auch schon von der neu gegründeten Stage-Diversity-und-Inklusions-Arbeitsgruppe identifiziert wurde. Demnach werde in den Ausbildungen in Deutschland zur Maskenbildner*in oder Friseur*in das Thema Afro-Haar gar nicht behandelt. Es gebe also gar kein Fachwissen, so Obedekah, wie man mit krausem Haar professionell umgeht. Man mag sich das kaum vorstellen, was das für Menschen heißt, die in der Woche acht Shows spielen und vor jedem einzelnen Auftritt ihre Haut und Haare in andere Hände geben müssen. 

Es ist einiges in Bewegung

Mit genau solchen Themen soll sich besagte Arbeitsgruppe nun näher befassen, auch Obedekah arbeitet daran mit. "Da haben wir zum Beispiel Hair-Workshops als Fortbildungsangebot für unsere Maskenabteilung konzipiert." Thema sei aber auch schon die Barrierefreiheit in den Theatern gewesen. Bereits seit einem Jahr würden darüber hinaus Empowerment- und Sensibilisierungs-Workshops angeboten. So gesehen sei schon einiges in Bewegung, auch wenn Obedekah sich manchmal wünscht, dass alles etwas schneller voran geht. So zum Beispiel auch bei der Frage nach Inklusion auf der Bühne. Obedekah sieht hier durchaus Chancen, wenn Inklusion bei der Konzipierung neuer Stücke mitgedacht werde. Einzelne Versuche habe es diesbezüglich schon gegeben, auch hier wünscht Obedekah sich eine engere Zusammenarbeit mit den entsprechenden Communities. 

Sichtbarkeit von People of Color schaffen

Gleichzeitig sei man sich natürlich auch des Phänomens des "Tokenism" bewusst, also dass Diversität durch den gezielten Einsatz von People of Color vorgetäuscht wird. "Das gilt auch für meine Position: Ich bin die erste schwarze Frau und Person, die die künstlerische Leitung in einem der Stage-Häuser innehat." Auch sie selbst habe sich schon gefragt, warum sie diese Stelle erhalten habe und wie sie damit umgehen solle, berichtet Obedekah. Doch letztlich gehe es auch um Sichtbarkeit, "representation matters!". Zumal die Tatsache, dass sie selbst zwanzig Jahre mit ähnlichen Erfahrungen auf der Bühne gestanden habe, auch Vertrauen beim Hamilton-Cast schaffe.

Zeigen, dass etwas möglich ist

Es sei wichtig, dass auch andere sehen, dass solche Positionen erreicht werden können, so ihre Überzeugung: "Sichtbarkeit schaffen, Türen aufhalten, zeigen, dass es möglich ist!" Obedekah ist zuversichtlich: "Ich bin eben nicht nur eine schwarze Frau - ich bin auch qualifiziert!" 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonnabend | 05.08.2023 | 16:20 Uhr

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