Vielfalt in Schulbüchern: Wie divers ist die Schullektüre?
Am Dienstag war Diversity-Tag. Gesellschaftliche Vielfalt kam in der Vergangenheit in den Medien, in Büchern und Filmen oft nicht vor. Das ändert sich aktuell immer mehr - auch im Zusammenhang mit Schulbüchern. Inwieweit ist das Thema Diversität dort angekommen?
Diversität - ein sperriges Wort und derzeit in der Gesellschaft in aller Munde. Gemeint ist, einfach ausgedrückt: Vielfalt. Das Mitdenken verschiedenster Menschen mit vielfältigen Hintergründen, das Anerkennen, dass es die eine Art Mensch nicht gibt.
Regine Meyer-Arlt: Ein positives Bild von Vielfalt vermitteln
"Diversität ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Denn Schulbücher spiegeln ja immer auch ihr gesellschaftliches Umfeld und sind dann Grundlage für die Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen Themen. Und dazu gehört Diversität. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, mit unseren Bildungsmedien auch zur Akzeptanz von Diversität beizutragen - ein positives Bild von gesellschaftlicher Vielfalt zu vermitteln", sagt Regine Meyer-Arlt, Sprecherin der Westermann-Verlagsgruppe mit Sitz in Braunschweig.
Als eines der größten Verlagshäuser für Bildungsmedien in Deutschland - zu dem Verlage wie Schöningh, Westermann, Diesterweg und Schroedel gehören - beschäftigt das Unternehmen das Thema Diversität schon länger. Die Redaktionen in denen Schulbuchautorinnen und Autoren konkrete Inhalte für Lehrmittel erschaffen, arbeiten demnach auf Grundlage von entsprechenden Empfehlungen der UNESCO und der Kultusministerkonferenz. Außerdem machen laut Meyer-Arlt die Lehrpläne der Bundesländer generelle Vorgaben: "Lehrpläne haben didaktische Vorbemerkungen, und in den Lehrplänen wird grundsätzlich Heterogenität und Diversität als Normalfall zugrunde gelegt - natürlich verbunden mit einer toleranten, respektvollen Grundhaltung und auch mit den demokratischen Werten. Das ist natürlich für uns verbindlich."
Wie wird Vielfalt in Schulbüchern abgebildet?
Wie genau diese Anforderung in konkrete Inhalte gegossen wird, obliegt den einzelnen Verlagen und ihren AutorInnen. Vielfalt, Diversität schlägt sich dabei laut Meyer-Arlt auf zwei Weisen nieder. Zum einen formell. Heißt: "Wir achten grundsätzlich mit der Auswahl von Bildern, Texten und Aufgabenstellungen darauf, dass eben Diversität auch gezeigt wird", erklärt Meyer-Arlt. "Zum Beispiel, indem wir internationale Namen verwenden, indem wir Menschen mit Beeinträchtigungen zeigen, indem wir auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den Abbildungen und bei den Aufgabenstellungen achten. Und wir zeigen auch Personen und Gruppen, die sich in ihrem Geschlecht nicht unbedingt eindeutig festlegen lassen."
Zum anderen schlägt sich laut Meyer-Arlt das Thema Diversität auch inhaltlich in den Schulbüchern nieder. Und dieser Anspruch gilt demnach für alle Schultypen und Fächer: "In Gesellschaftslehre haben wir zum Beispiel heutige Familienentwürfe, wo wir dann Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien benennen und beschreiben", so Meyer-Arlt. "Im Biologieunterricht geht es dann um sexuelle Selbstbestimmung. Im Fach Englisch bilden wir traditionell Leitfiguren mit Migrationshintergrund ab. Im Deutschunterricht geht es um Lesebuchtexte, in denen Kinder unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Voraussetzungen aufeinandertreffen."
Riem Spielhaus: Es mangele an Vielfalt in den Schulbuchredaktionen selbst
Grundsätzlich bemühe man sich, in den Schulbüchern Stereotype zu vermeiden, so die Verlagssprecherin. Schulbuchautorinnen und -autoren für das Thema zu sensibilisieren, sei das Ziel. Aktuell arbeite die Westermann-Verlagsgruppe dazu an einem schriftlichen Regelwerk für ihre Autorinnen und Autoren, genannt "diskriminierungskritischer Leitfaden": "Der hat einen Schwerpunkt Rassismus, aber grundsätzlich lässt er sich auch auf andere Felder anwenden. Weil es in erster Linie darum geht, kritische Fragen zu stellen bei der Auswahl von Texten und Bildern. Welche Assoziationen entstehen? Wer spricht zu welchem Zweck aus welcher Position? Wie würde es in vertauschten Rollen aussehen? Was entsteht für ein Gefühl dabei?", so Meyer-Arlt.
Diversität in Schulbüchern - sie beschäftigt nicht nur die Praktiker in den Verlagen. Was sich in Schulbüchern tut, wird auch von der Wissenschaft genau beobachtet. Etwa von Riem Spielhaus vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien / Georg-Eckert-Institut in Braunschweig. Zudem ist sie Professorin für Islamwissenschaften an der Uni Göttingen. Sie attestiert den Schulbuch-Verlagen, in Sachen Diversität auf einem guten Weg zu sein. Woran es allerdings noch mangele, sei Vielfalt in den Schulbuchredaktionen selbst: "Da ist noch Potential, noch mehr Diversität in die Redaktionen zu bringen und auch in die AutorInnenschaft", so Spielhaus. "Hier ist aber die große Herausforderung, dass wir bei Studierenden oder auch bei den Lehrkräften, die ja häufig dann auch das Reservoir an AutorInnen für Schulbücher stellen, wenig Diversität haben."
Problem: Wie Diversität darstellen, ohne Stereotype zu reproduzieren?
Spielhaus beschreibt zudem ein weiteres Problem. Eines, das in der Schulbuchforschung und in den Fachdidaktiken aktuell stark diskutiert wird. Wenn in Schulbüchern in bester Absicht über unterschiedliche Menschen, Herkünfte oder Minderheiten gesprochen wird, birgt dies paradoxerweise die Gefahr, Stereotype zu bestätigen und weiter zu verbreiten, erklärt die Forscherin: Ein Beispiel sei "in Grundschulbüchern, dass man für Geschlechterunterschiede und für Ungleichbehandlung von Jungs und Mädchen sensibilisiert", so Spielhaus. "Dann gibt es aber wiederrum Inhalte, die sie, wenn sie versuchen, die infrage zu stellen, eigentlich erstmal möglicherweise den Schülerinnen und Schülern überhaupt beibringen. Welche Hobbies haben Jungs oder welche Hobbies haben Mädchen - dann sozusagen erstmal Unterschiede einführen, die möglichweise gar nicht verankert sind."
Wie lässt sich Diversität darstellen und benennen, ohne Stereotype zu reproduzieren? Das ist laut Spielhaus eine wichtige Frage, auf die es aktuell keine pauschale Antwort für alle Schulfächer und Schultypen gibt. Hier müsse man ausprobieren - und im Sinne einer guten Fehlerkultur - Dinge gegebenenfalls auch wieder ändern, fordert die Schulbuchforscherin.