"Die Jungfrau von Orleans" in Hamburg: Vier Johannas, wenig Pathos
Die "Die Jungfrau von Orleans" wird im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg zu "Johanna". Die vielschichtige Interpretation des Schiller-Klassikers mit vier Hauptdarstellerinnen hatte am Sonnabend Premiere.
Bist du Schaf oder Adler, Opfer oder Täter, bist du Clown oder stummer Zeuge? Bei diesem Abend wird die "Gretchen-Frage" zur "Johanna-Frage": Wie hältst du es mit dem Heldentum?
Leonie Böhm inszeniert "Johanna" im Deutschen Schauspielhaus
Friedrich Schillers Drama "Die Jungfrau von Orleans" spielt im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, da klirren die Waffen und wehen die Fahnen. All das fehlt hier. Auch Schillers pathostriefende Verse sind nur spurenweise vorhanden. Stattdessen beginnt alles denkbar harmlos: Ein bisschen Endzeit, eine Spur Weihnachtsmärchen. Vier Gauklerinnen betreten leise summend die Bühne. Die ist vollgehängt mit dickem Wurzelwerk, das von der Bühnendecke baumelt. Vier Wesen, vier Mal Johanna…
Und dann beginnt Josefine Israel, sich ans Publikum zu richten, als gehe ihr ein Gedanke auf: "Ich will euch beschützen". Was am Anfang wie ein Workshop für Charisma-Training klingt, entpuppt sich als geschickte und vielschichtige Interpretation eines Klassikers.
Vier Frauen verkörpern vier Seelen in Johannas Brust
Schillers Stück beschreibt, wie eine junge Frau zur Heldin, zur Projektionsfläche eines Männersystems wird und daran scheitert. Umgarnt, verehrt, gehasst. Getrieben von einer Vision. Die vier Frauen auf der Bühne, eine von ihnen ist die Live-Musikerin Fritzi Ernst, verkörpern vier Seelen in der Brust der berühmten Kämpferin. Auch bei Schiller wird aus der sanften Charismatikerin, die sich für von Gott berufen hält, eine eiskalte Killerin. Wiebke Mollenhauer zeigt diesen fanatischen Charakterzug. Maja Beckmann zeigt die clowneske, beinahe kindliche Johanna.
Die vier Frauen tragen bunte Seidenkleidung, die entfernt an Harlekins-Kostüme erinnert. Regisseurin Leonie Böhm dringt tief ein in die Psyche Johannas. "Ich fand die innere Bewegung zwischen den verschiedenen Anteilen, die sich mal gestützt und mal gegeneinander gelaufen sind, sehr spannend", sagt eine Zuschauerin nach dem Stück.
"Ganz eindeutig etwas Feministisches dabei"
Der Abend erzählt von Idealismus und Charisma, vom Wert der Freiheit, von Mut, Feigheit und Brutalität. Immer wieder dringen Schillers Szenen-Splitter wie Schatten durch das improvisiert-leichte Spiel der Frauen. "Es ist ja auch etwas Feministisches dabei, ganz eindeutig", erzählt eine andere Zuschauerin. "Es geht darum, Mut zu haben und etwas zu tun gegen diese ganzen Krisen, in denen wir gerade leben."
Krisen meistern geht nur gemeinsam, will der Abend etwas überdeutlich sagen. Leider verhebt sich die Inszenierung gegen Ende dann doch, wenn sie zu einer privat-niedlichen Therapiesitzung wird, wo Johanna mit ihrem sächselnden Vater in Kontakt tritt. Lustig, aber eigentlich unnötig. Plötzlich veralbert der Abend seine eigene Konsequenz. Die bittere Wahrheit: Idealismus ist ein Getränk, von dem man besser nur tröpfchenweise kostet. Sonst verfängt man sich im Wurzelwerk der eigenen Eitelkeit.
"Die Jungfrau von Orleans" in Hamburg: Vier Johannas, wenig Pathos
Am Sonnabend hatte die vielschichtige Schiller-Interpretation "Johanna" Premiere im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses.
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- Bühne
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Deutsches Schauspielhaus, Malersaal
Kirchenallee 39
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