Ausverkauf der Kultur? Theater Görlitz will Namensrechte verkaufen
Der Intendant des Görlitzer Theaters, Daniel Morgenroth, bietet die Namensrechte an seinem Haus offiziell zum Verkauf an. Wer ein Theater wahllos zum wirtschaftlichen Werbeträger macht, verrät dessen Markenkern - findet NDR Kultur Redakteur Stefan Forth.
Es geht ums ganz große Geld in Görlitz. "KAPITAL" steht in großen goldenen Buchstaben als fette Überschrift auf der Titelseite des aktuellen Spielzeithefts im Gerhart Hauptmann-Theater. So heißt das Haus zumindest im Moment noch. Gewichtige Fragen will Intendant Daniel Morgenroth in der neuen Saison 2024/25 auf seinen Bühnen verhandeln, schreibt er: "Wem gehört diese Welt?" Und: Ist es gerecht, wenn Tech-Firmen Rekordgewinne einfahren, während öffentliche Kassen leer sind?
Genau richtig, wenn sich ein Theater solchen Gegenwartsthemen stellt, bei denen es ans Eingemachte gehen kann. Und das mit Stoffen von wirkmächtigen zeitgenössischen Autoren wie Wolfram Lotz und Roland Schimmelpfennig. Klingt vielversprechend. Nur: Wie soll das bitte noch glaubwürdig gehen, wenn das Theater in Zukunft nicht mehr nach dem Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann, sondern nach dem Rüstungskonzern Rheinmetall oder dem durchglobalisierten Mega-Getränke-Riesen Coca-Cola benannt sein sollte? Diese beiden Unternehmen nennt Intendant Morgenroth ganz ausdrücklich als Beispiele für mögliche Namenssponsoren. Das kann der Mann nicht ernst meinen! Und dann noch "KAPITAL" auf sein Spielzeitheft schreiben.
Provokation und ein Hilferuf in schwerer Zeit
Der öffentlichkeitswirksame Vorstoß des Intendanten ist eine Provokation, ein Hilferuf in schwerer Zeit. Er zeigt, unter welch großem finanziellen Druck viele Theater vor allem in mittelgroßen deutschen Städten mittlerweile stehen. Inzwischen vergeht kaum mehr ein Monat, ohne dass irgendwo ein Haus Sparpläne verkündet, Verluste beklagt oder - im schlimmsten Fall - ganze Sparten schließt. Die Kosten steigen, aber die Zuschüsse bleiben oft höchstens gleich. Woher sollen finanziell klamme Städte und Länder als Träger das zusätzliche Geld auch nehmen? Die Theater konkurrieren mit vielen anderen berechtigten Interessen - von ordentlichen Straßen über genügend Kitas bis hin zu Freibad und Müllabfuhr.
Geld gegen Moral: Ein schlechter Tausch
In schwierigen, herausfordernden Zeiten braucht es kreative Lösungen. Da hat Intendant Morgenroth schon Recht. Und es ist sicher klug, mit der nötigen Sensibilität auch darüber nachzudenken, wie sich Sponsoringmöglichkeiten in Theatern ausweiten lassen. Schon jetzt gibt es ja zum Beispiel hier und da Werbung in Spielzeitheften, Inszenierungspartnerschaften oder Firmenlogos in Programmheften. Nur ist es eben nicht egal, wer da an welcher Stelle Werbung macht, wie es der Görlitzer Intendant nahelegt. Bei der Auswahl der Sponsoren fände er "moralischen Snobismus fehl am Platze", wird er zitiert. Snobismus ist sicher ganz grundsätzlich nicht angezeigt in einer Zeit, in der viele Theater offensiver als früher um ihr Publikum werben müssen. Geld gegen Moral wäre allerdings ein schlechter Tausch für eine Institution, deren Wert für die Gesellschaft gerade darin besteht, offene Denkräume zu bieten, Imagination zum Fliegen zu bringen - und mögliche Gegenentwürfe zur Welt, in der wir leben, erspielbar und erfühlbar zu machen. Wer ein Theater wahllos zum wirtschaftlichen Werbeträger macht, verrät dessen Markenkern.
Davon abgesehen, dass finanzstarke Unternehmen auch erstmal ein ernsthaftes Interesse daran haben müssten, den Namen eines öffentlich getragenenen Theaters zu kaufen. Das ist schon nochmal etwas anderes als eine Konzerthalle, in der sich Weltstars die Klinke in die Hand geben.
Wie viel Theater wollen wir uns noch leisten?
Wenig realistisch also, dass aus dem provokanten Vorstoß aus Görlitz ein tragfähiges Finanzierungsmodell für öffentliche Theater werden könnte. Im besten Fall stößt Intendant Morgenroth einmal mehr eine breitere Diskussion an: Wie viel Theater wollen wir uns in Deutschland eigentlich noch leisten? Und: Wer soll das bezahlen? Gut, wenn Theater diese Grundsatzdebatte offensiv führen. Wenn sie Orte der Gedankenfreiheit und Fantasie bleiben, haben sie der Gesellschaft einiges zu bieten. Gerade heute.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.