Buch-Cover: Paolo Giordano - Tasmanien © Suhrkamp Verlag

"Tasmanien": Paolo Giordanos präziser Blick auf die Welt

Stand: 15.08.2023 06:00 Uhr

In "Tasmanien" beschreibt der italienische Schriftsteller Paolo Giordano die seelische Verfasstheit der heutigen Gesellschaft in den gebildeten Kreisen Europas.

von Annemarie Stoltenberg

Tasmanien gilt unter den Reichen der Welt, die die Möglichkeit hätten, ihren Wohnort frei zu wählen, als ein Land, in dem man eine Klimakatastrophe am sichersten überleben könnte. Die Hauptperson in Paolo Giordanos neuem Roman beschäftigt sich mit der Zukunft, mit klimatischen Phänomenen. Er reist herum und befragt Menschen.

Sie wollten vom Ende der Welt reden. Wie übrigens alle in diesen Tagen. Auch wenn man sich darüber im Klaren sein sollte, dass wir nicht vom Ende der Welt reden, höchstens vom Ende der menschlichen Zivilisation, was einen Unterschied macht. Leseprobe

Wie kann die Zukunft verbessert werden?

Der Journalist und Schriftsteller, der im Roman Paolo heißt, wie sein Erfinder, ist aus dem Gleichgewicht geraten und taumelt eher ohne Plan durchs Leben. Seine Ehe hat offenbar unter dem jahrelang verfolgten Wunsch, ein Kind zu zeugen, gelitten und zerbricht gerade. Beruflich läuft es auch nicht gut. Paolo beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Wolken und nimmt an Klimakonferenzen teil. Weltuntergangsstimmung sickert aus allen Medien.

Zu jener Zeit verbreitete sich die Nachricht von einem merkwürdigen Gesetzesvorhaben, das ein schwedischer Politiker namens Per-Erik Muskos vorgeschlagen hatte. Muskos wollte den öffentlich Bediensteten wöchentlich eine Stunde zusätzlich zu ihrer Mittagspause frei geben, insbesondere damit sie sich dem Sex widmen konnten. Außer Hebung der psychophysischen Gesundheit der Angestellten würde das Gesetz auch den Effekt haben, die Vermehrung zu fördern, in einem Land, dessen Geburtenrate im Keller war. Leseprobe

Ob das Gesetz den gewünschten Effekt haben könnte, wird nicht erörtert.

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Eine Menschheit mit prätraumatischem Stresssyndrom

Paolo Giordano hat einen Roman geschrieben, in dem sich sehr viel bei der Lektüre auch zwischen den Zeilen im Kopf der Leserschaft ereignet. Er beschreibt die seelische Verfasstheit der heutigen Gesellschaft in den gebildeten Kreisen Europas. Ein Klimaforscher sagt über sich:

Praktisch kommt dabei heraus, dass wir zur Kategorie von Wissenschaftlern gehören, die am meisten unter Depressionen und verschiedenen Gemütserkrankungen leiden. Was für eine Neuigkeit. Prätraumatisches Stresssyndrom nennen die Psychologen das. Oder Kassandra-Syndrom. Das ist das, was du erlebst, wenn auf dem Bildschirm eine Grafik erscheint und du in dieser Grafik die Zukunft siehst. Und es ist das, was dir passiert, wenn du versuchst, diese Informationen an die Außenwelt weiterzugeben, an die Bürger, die Presse, die Entscheidungsträger. Wenn Sie von mir eine treffende Definition der Epoche wollen, in der wir leben, dann ist es die: eine prätraumatische Zeit. Leseprobe

Manchmal ist es ja seltsam tröstlich, ein Wort zu haben für das, was man ganz diffus empfindet: Prätraumatisches Stresssyndrom! So mag es sich fügen bei der Lektüre von Paolo Giordanos Roman, den Barbara Kleiner mit sprachlicher Eleganz aus dem Italienischen übersetzt hat.

Tasmanien

von Paolo Giordano
Seitenzahl:
335 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Verlag:
Suhrkamp
Bestellnummer:
978-3-518-43132-0
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 15.08.2023 | 12:40 Uhr

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