Roman "Nochmal von vorne": Berührende Familiengeschichte
Dana von Suffrin erzählt mit Humor die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, in der nichts normal läuft, weil ein ganzes Jahrhundert voller Gewalt und Vertreibung in ihr nachwirkt.
Mordechai Jeruscher ist gestorben. In Israel geboren, als Sohn rumänischer Juden, die erst den Holocaust überlebt und dann unter dem Securitate-Terror ihre Heimat verlassen hatten, hat er fast ein ganzes Erwachsenenleben in München verbracht, eine bayrische Frau christlichen Glaubens geheiratet und mit ihr zwei Töchter bekommen: Nadja und Rosa.
Die jüngere Rosa, die Vatertochter, ist nun ganz allein. Denn ihre bewunderte Schwester Nadja, die Muttertochter, hat sich seit Jahren von der Familie abgewandt, ist nicht wirklich verschollen, aber unerreichbar, auch im Wortsinn. Rosa versucht in einer gedanklichen "Nochmal von vorn"-Bewegung ein Doppeltes: ein Ordnen und ein Versöhnen durch Verstehen. Das geschieht in konzentrischen Kreisen der Erinnerungen, die sie heimsuchen, während sie in der Wohnung des verstorbenen Vaters sitzt und auf den Entrümpler wartet. Die Dynamik ihres Romans beschreibt Dana von Suffrin als eine Art Rotation, in der ihre Protagonisten gefangen sind, während sie um Nähe ringen.
Lachen als ambivalentes Bindemittel
Doch was ist falsch gelaufen, dass jeder Mensch in dieser Familie eine so einsame Insel ist? Veronika, die Mutter von Nadja und Rosa, verbringt viel Zeit vor dem Fernseher mit Dokus über den Holocaust und Fragen der deutschen Schuld. Vater Mordechai ist dagegen und greift zur Fernbedienung: Genug mit dem Blödsinn, gehen wir schlafen. Er ist schweigsam und melancholisch; spricht über seine inneren Beschädigungen nicht, aber sie scheinen eher im Jom-Kippur-Krieg zu wurzeln als im Nationalsozialismus. Und was ist mit den transgenerationellen Traumata des Holocausts, der im Buch eine auffällige Leerstelle ist? Die Großmutter Zsazsa, die in Tel Aviv in einem Pflegeheim lebt, will sie auf einmal füllen:
Ich beginne noch einmal von Anfang, nochmal von vorne, sagte sie, und dann trug sie Nadja, die an der Kommode saß, auf, in der Schublade nach Bildern zu suchen. Wisst Ihr, wie meine Eltern ausgesehen haben? Leseprobe
Leider scheitert die Erzählung der korpulenten alten Dame an ihrer Demenz, und das ist durchaus symbolisch. Jedenfalls entbehrt es nicht der Komik - wie überhaupt der Humor, den Dana von Suffrin "Bewältigungsmodus und Waffe zugleich" nennt, den Ton von "Nochmal von vorne" grundiert. Das Lachen ist auch ein ambivalentes Bindemittel für die zwei ungleichen Schwestern:
Viel öfter aber als diese Momente, in denen uns unser Spott für die Welt und die Menschen zusammenhielt, waren andere, in denen ein schmerzhaftes Ungleichgewicht herrschte und ich immer um Nadjas Aufmerksamkeit und Gunst werben musste, denn nichts war mir kostbarer, und am liebsten wollte ich so sein wie sie (während sie selbst ganz anders sein wollte). Leseprobe
"Nochmal von vorne" richtet den Blick aufs große Ganze
Jede und jeder steckt im falschen Leben fest, aber welches ist das richtige? Rosa macht sich schließlich auf den Weg zu Nadja, denn schließlich teilen nur Geschwister die gleiche unerzählte Vergangenheit, die an Sprachlosigkeit und Schweigen scheiterte.
Dana von Suffrins Roman "Nochmal von vorne" erzählt eine berührende Familiengeschichte, die den größtmöglichen Abstand zu jeglicher Schuldzuweisung hält. Und den Blick aufs große Ganze richtet:
Ich weiß nicht, wer uns alle durch die Geschichte schmettert und uns an den blödesten Orten aufkommen lässt. Leseprobe
Nochmal von vorne
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00297-3
- Preis:
- 23 €