Roman "Das Fest": Ein 50. Geburtstag voller Komik und Tragik
Der 1974 in Hamburg geborenen Autorin Lucy Fricke ist ein wunderbarer Roman gelungen: witzig, leichtfüßig, tiefernst und voller Liebe.
Für Jakob ist klar, dass nicht gefeiert wird. Sein Leben ist schon länger in Unordnung. Der einst erfolgreiche Filmregisseur pendelt zwischen Selbstmitleid, Weltdepression und Desinteresse. Und jetzt wird er auch noch 50 - eine Zahl wie ein Abgrund. Nichts habe er erreicht, nichts werde er noch erreichen. Ellen, seit Jahrzehnten Jakobs beste Freundin, kann das nicht akzeptieren.
Als ich zwei Packungen bunter Geburtstagskerzen aus der Tasche holte, gab Jakob abermals ein erschöpftes Seufzen von sich. Immer mehr Kerzen, immer weniger Puste, meinte er. Ich hatte alt werden wollen mit diesem Freund, aber doch nicht jetzt schon. Leseprobe
Ein Tag der seltsamen Zufälle
Damit ist der Ton gesetzt - eine wunderbare Mischung aus Spott, Witz und tiefem Verständnis. Mit 50 ist mehr als die Hälfte des Lebens vorbei. Vermutlich. Aber warum sich wie Jakob schon vorzeitig von allem quasi verabschieden? Sinnlos und traurig, findet Ellen das. Sie, die, so scheint es, Jakob lange auch schon liebt, plant für ihn einen Geburtstag der Begegnungen, und das so klug, dass er das Muster erst spät erkennt. Für ihn präsentiert sich der "Festtag" deshalb zunächst vor allem als ein Tag der seltsamen Zufälle. Als erstes geht er mit Ellen ins Schwimmbad, doch taucht die aus der Umkleide nicht wieder auf. Stattdessen trifft Jakob im Becken auf Inken, mit der er vor Jahren zusammengelebt hat.
Wenn man jemanden nach langer Zeit wiedersah, traf einen neuerdings nicht selten der Schock. (...) Es war jetzt die Phase, in der man bei jedem Wiedersehen unwillkürlich zusammenzuckte, weil man nicht glauben konnte, was mit dem anderen passiert war. Inkens Lippen waren nur noch ein schmaler Strich, ihre Wangen wirkten weich und schwer. Und Jakobs Nase war größer geworden, (...) sein linkes Augenlid hing ganz leicht, überhaupt seine linke Gesichtshälfte. Warum wurden wir alle so schief? Leseprobe
Tastend beginnt das Gespräch, es wird ausgesprochen, was damals ungesagt blieb. Am Ende springt Jakob vom Zehnmeterbrett und schlägt so unglücklich auf, dass er einen Zahn verliert. Zum Glück ist Inkens Mann Zahnarzt.
Ein wunderbarer Roman voller Liebe
Komik und Tragik liegen in diesem schmalen Roman so eng nebeneinander wie sonst vielleicht nur im Leben. Lucy Fricke fängt die notgedrungen bei jedem Treffen einsetzende Melancholie geschickt auf. Mit jeder Begegnung gewinnt Jakob ein Stück Leben und damit Lebendigkeit zurück. Insofern kann das Buch auch gelesen werden als ein Plädoyer dafür, die Menschen im Kopf oder Herzen zu behalten, die ein wichtiger Teil des Lebensweges waren. Ellen spürt für Jakob sogar seine Kindergartenliebe wieder auf. Die beiden Frauen treffen sich vorab in Neelas Berliner Restaurant:
Neela servierte mir einen Eistee, der wie eine Liebkosung schmeckte, eine Verführung, der niemand widerstehen könnte, nicht einmal dann, wenn man sich auf dem Höhepunkt einer Sinnkrise befand. Und mit offenen Augen betrachtet, war der Eistee noch die geringste Gefahr. Leseprobe
Am Ende kommen alle zum "Fest" zusammen und noch einige mehr, die Jakob spontan eingeladen hat. Er hat über den Tag zahlreiche körperliche Blessuren davongetragen, nicht nur einen Zahn verloren, doch ficht ihn das nicht an. "Das Fest" ist ein wunderbarer Roman: witzig, leichtfüßig, tiefernst und so voller Liebe, dass hoffentlich auch kleine Tränen der Freude oder der Rührung fließen.
Das Fest
- Seitenzahl:
- 138 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- claassen
- Bestellnummer:
- 978-3-546-10095-3
- Preis:
- 20 €