von Katja Weise

Im Krieg gegen die Ukraine werden sie uns gerade aufgezeigt, die Grenzen der Diplomatie. Lucy Fricke führt mit ihrem Roman allerdings an einen ganz anderen Schauplatz: Er spielt in weiten Teilen in der Türkei, in Istanbul:

Ich sah auf die Stadt hinunter, auf den Bosporus, der Istanbul nicht teilte, nur endloser machte. Es gab kein Asien, kein Europa, keinen Orient und Okzident, dieses Gerede hatte ich immer schon für romantischen Unsinn gehalten. Es gab nur Istanbul, das in der Mitte thronte. Eine Stadt, deren Schönheit mich immer noch erschütterte, eine stolze Frau mit offenen Wunden. Leseprobe

Von der Botschafterin in Uruguay zur Konsulin in Istanbul

Lucy Frickes Roman "Die Diplomatin" gewährt tiefe Einblicke in die Schwierigkeiten dieses Berufsstandes.

Friederike Andermann, genannt Fred, ist eine erfahrene Diplomatin und will an keinem anderen Ort sein, obwohl die Menschenrechte hier mit Füßen getreten werden. Zuvor war sie als Botschafterin in Uruguay, wurde von dort allerdings abgezogen, weil sie eine Entführung falsch eingeschätzt hatte: Die junge, deutsche Instagram-Bloggerin, Tochter zudem einer einflussreichen Zeitungsverlegerin, konnte nur tot geborgen werden. Nun ist sie "nur noch" als Konsulin in Istanbul:

"Ich bin jetzt seit einem Jahr hier", sagte ich, "und eines habe ich gelernt: Es reicht nicht vom Schlimmsten auszugehen. Man muss mit dem Unvorstellbaren rechnen." Leseprobe

Fiktive Geschichten mit realem Hintergrund

Zunehmend werden Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft inhaftiert, weil sie sich in Deutschland für kurdische Vereine engagiert oder, wie Meral, für verfolgte Künstlerinnen eingesetzt haben. Sie wartet im Gefängnis in Istanbul auf ihren Prozess. Jetzt haben die türkischen Behörden außerdem ihren Sohn im Visier. Der Vorwurf auch hier: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Lucy Fricke hat viele Monate in Istanbul verbracht und recherchiert. Die Fälle, die sie schildert, sind natürlich fiktiv, aber spürbar mit realen unterlegt. Fred gerät bei ihren Bemühungen zu vermitteln immer mehr ins Fadenkreuz verschiedener Interessen und verliert dabei allmählich den Glauben an die Diplomatie.

Wir raten ständig ab. Wir raten ab von Reisen in den Südosten, von sozialen Medien, von Demonstrationen, von Kundgebungen. Wir raten davon ab, die eigene Mutter im Gefängnis zu besuchen. Aber Abraten allein ist keine Diplomatie. Leseprobe

"Die Diplomatin": Pointiert und mit staubtrockenem Humor

Fred will handeln, spätestens dann, als ein deutscher Journalist, mit dem sie (fast) eine Affäre hat, ebenfalls auf die schwarze Liste der türkischen Behörden gerät. Eindrücklich schildert Lucy Fricke die Atmosphäre in den diplomatischen Kreisen, das Leben zwischen Empfang mit Würstchen zum Tag der deutschen Einheit und handfesten politischen Krisen. Fred, die die Karriere einst eingeschlagen hat, um die Welt zu verbessern, versteht sie immer weniger und verliert, noch schlimmer, die Geduld, DIE diplomatische Tugend schlechthin. Pointiert und mit staubtrockenem Humor erzählt die Autorin ihre Geschichte und gewährt tiefe Einblicke in einen Berufsstand, von dem viele aus guten Gründen nur die glänzende Oberfläche kennen. Fred ist vor allem einsam und nach Jahren immer noch nicht so abgebrüht wie ihr Chef.

"Fred, ehrlich, Entscheidungen müssen auf der Grundlage von Fakten getroffen werden, nicht auf der Grundlage von Gefühlen oder Hoffnungen." (...) "Wir können uns dem türkischen Recht nicht widersetzen. Das wäre ein Fehler, und die Fehler machen immer noch sie, nicht wir." Leseprobe

Nicht nur Fred, auch die anderen Figuren hat Lucy Fricke gut gewählt: ein spannender, ein entlarvender und unterhaltender Roman mit einem furiosen Finale. Es lohnt sich unbedingt, ihn zu lesen, gerade in diesen für die Diplomatie so schweren Zeiten.

Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Lucy-Frickes-Die-Diplomatin-Entlarvender-Roman-mit-furiosem-Finale,diplomatin104.html