Roman "Coast Road": Zwei Frauen kämpfen für mehr Freiheit
Kaum zu glauben, aber bis 1995 waren Scheidungen in Irland per Gesetz verboten. Erst ein Referendum brachte die alte Regelung in Irland mit hauchdünner Mehrheit zu Fall. Alan Murrin hat über die Monate davor einen Roman geschrieben.
Rauch steigt auf über dem kleinen Cottage an der irischen Westküste - und es ist nicht der Rauch aus dem Kamin. Izzy Keaveney ahnt sofort, dass etwas passiert ist.
"Mrs Keaveney", sagte der Detective, "Woher weiß eine Frau, die drei Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Bucht lebt, aus dem Fenster schaut und ein bisschen Rauch sieht, dass das Feuer absichtlich gelegt worden ist?" "Ach so", antwortete sie. "Das ist eine ganz andere Geschichte."
Zwei ungleiche Frauen werden zu Verbündeten
Die Geschichte geht so: In der Hütte wohnt Colette Crawley. Eine Frau, die anders ist als die Frauen in der Ortschaft Ardglas. Eine bekannte Dichterin, eine, die das Leben, die Liebe, den Alkohol liebt - und die ihren Mann und ihre drei Kinder für einen Mann in Dublin verlassen hat. Jetzt ist sie zurückgekehrt, bankrott, gescheitert auf ganzer Linie. Und wird von allen beäugt, etwa sonntags in der Kirche. Wo sie oben am Pult steht und eine Lesung halten darf.
Izzy hätte ihr den ganzen Tag zuhören können. Die Gemeinde blickte entrückt zu dieser Vision auf, und als Izzy über den Altar hinweg zu Pfarrer Brian auf seinem großen Marmorsessel schaute, bemerkte sie den milden, wohlwollenden Blick, mit dem er Colette Crowley beobachtet.
Izzy ist unglücklich verheiratet, ausgerechnet mit einem Lokalpolitiker, der sich für das Recht auf Scheidung einsetzt. Sie ist Mutter zweier Kinder. Und zwischen diesen beiden ungleichen Frauen - die eine weltgewandt, die andere Sammlerin von Hummel-Porzellanfiguren - entsteht eine Verbindung. Sie werden Verbündete. Izzy lässt sich von Colette inspirieren, Colette sucht Izzys Hilfe, weil ihr der Ex-Mann verbietet, ihre Kinder zu sehen. So arrangiert Izzy scheinbar zufällige Treffen mit Colettes kleinem Sohn Carl.
Es geht ans Herz, wie die Kinder unter den zerrütteten Ehen leiden. Und Colette ist keine Heilige, sie zieht ihr Ding durch, immer. Ein Störfall der gedämpften Ruhe zwischen Kirche und Ehebett und ihrer Zeit voraus, kurz vor dem historischen Referendum 1995 über die Legalisierung der Scheidung. Es ist ein überzeugender Erzählkniff des Autors, weil er die Situation zusätzlich auflädt und verdichtet.
Innenansicht einer verrohten Gesellschaft
Der Roman besteht vor allem aus Dialogen. Die Landschaft, Innenräume, Kleidung werden kurz skizziert, um glaubhaft Milieus zu schildern: Es geht um Menschen, die sich durch diese enge Welt zwängen, in einem Buch, das sehr nahe geht und das buchstäblich sehr nahe heran geht, filmisch nahe, manchmal schwer zu ertragen.
Häusliche Gewalt, brutaler Chauvinismus, weitergereichte patriarchale Machtstrukturen, Femizide - Alan Morris' Roman ist die Innenansicht einer verrohten Gesellschaft. Er zeichnet feine psychologische Figuren, besonders nachvollziehbar die der Kinder. Die titelgebende Coast Road, die Küstenstraße, wird hier zur Trennlinie, einem Symbol für die Fragilität der Freiheit. Das Ganze verdichtet sich am Schluss, kulminiert in einer Katastrophe.
Es ist ein trauriges Buch, in dem man den Wind spürt, der an den Plakaten zum Referendum zaust. Es geht auch um die Freiheit der Wahl. Darum, dass die Unterdrückung nicht endet, bloß weil der Gesetzgeber es will. Da wird "Coast Road" brandaktuell.
Coast Road
- Seitenzahl:
- 384 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28457-8
- Preis:
- 24 €
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Romane
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