Roberto Savianos "Falcone": Ein Held, der lieber keiner gewesen wäre
In seinem neuesten Roman hat sich Roberto Saviano eine zentrale Figur des Antimafiakampfes in Italien ausgesucht, den Richter Giovanni Falcone, der 1992 ermordet wurde. Saviano schreibt dicht, packend, mit vielen Dialogen.
Ein "Leben ohne Mafia", so heißt es am Schluss des Buches, das war die Utopie von Giovanni, wie Roberto Saviano ihn in seinem Roman meistens nennt, und das war auch die Hoffnung eines Teiles von Italien - aber eben: nur eines Teiles.
Falcones gefährlicher Kampf gegen die Mafia
Falcone, 1939 in Palermo geboren, wurde 53 Jahre alt, ehe ihn die Mafia nach einigen gescheiterten Versuchen ermordete. Saviano steigt in das Leben seiner Hauptfigur ein, als diese schon mittendrin ist im Kampf. Er schreibt dicht, packend, mit vielen Dialogen, die die Arbeit der Ermittler, die Auseinandersetzungen innerhalb der italienischen Justiz und die Verbindungen bis in die hohe Politik hinein detailreich und mit geballter Recherchekompetenz illustrieren. Vor allem kann Saviano die Arbeit von Falcone und seiner Kollegen in die Anti-Mafia-Strategien der Nachkriegsjahrzehnte einordnen. Dieser Richter nämlich hat etwas verstanden:
Obwohl das Gewebe insgesamt verworren ist, gibt es einen Faden, der sie verbindet, immer derselbe. Er macht viele Windungen, manchmal wird er auch so dünn, dass er nicht zu existieren scheint, er verschwindet, dann wickelt er sich wieder um sich selbst, verknotet sich, verknäult, aber er bleibt doch ein Faden. Ein einziger verfluchter Faden. Und er besteht aus Geld. Entlang der Geldbewegungen zu ermitteln, kann die entscheidende Methode im Kampf gegen die Mafiaorganisationen sein. Leseprobe
Falcones Leitlinie ist: follow the money. Er geht zu den Banken und erstreitet die Herausgabe von Unterlagen zu Umtauschgeschäften von Lire in Dollar. In den 70er- und 80er-Jahren lagen in Sizilien die wichtigsten Raffinerien Europas, das erlaubte die kreative Nutzung großer Öl- und Dollarströme zum Zweck der Geldwäsche. Falcone reist erfolgreich in die USA, um dort Spurensuche zu betreiben und Zeugen zu finden, die zur Aussage bewegt werden.
Eine skrupellose Mafia-Generation
Und eine zweite Veränderung im Kampf von Mafia und Rechtsstaat durchzieht diesen Roman, dieses Mal auf der Seite der Mafia:
In der Via Pipitone Federico gibt es nichts mehr, was noch brennen könnte. Ein gewaltiger Donner hat die Palazzi von den Fundamenten bis zu den Dachterrassen erschüttert. Eine Explosion von obszöner Gewalt. Im Umkreis von vierhundert Metern sind alle Fensterscheiben zersprungen. Fünfundsiebzig Kilo TNT waren in dem Auto, das vor der Tür des Palazzos, in dem Rocco Chinnicci wohnte, explodierte. Roccos Alptraum, dass einer seiner Personenschützer mit ihm sterben muss, ist wahr geworden. Genau das wollte dieses Attentat sein. Ein Alptraum. Und eine Einweihung. Die Zeit der Bomben ist gekommen. Leseprobe
Die neue Generation der Mafia lässt jede Zurückhaltung fallen. Vorher galt als ungeschriebenes Gesetz, dass keine Kinder umgebracht werden, sodass Richter sich mit ihren Söhnen und Töchtern ins Auto setzen und sichern sein konnten, am Zielort anzukommen. Damit war es vorbei, als Salvatore, genannt Toto Riina, die Regentschaft übernahm. Von da an wurde ohne Rücksicht ermordet, wer immer im Weg stand.
Intrigen innerhalb der Richterschaft
Aber Saviano beschreibt nicht nur ein Duell Ermittlungsrichter gegen Mafia - auch die Ränkespiele innerhalb der Richterschaft sind ein Thema. Wird der neue Vorgesetzte berufen, um die Ermittlungen zu sabotieren? Wer zieht im Hintergrund die Fäden? Ein Name taucht immer wieder auf, und das ist der von Giulio Andreotti, Premierminister der Democratia Cristiana und oberster Strippenzieher des Landes. Und mittendrin im Intrigenspiel steckt ein zunehmend frustrierter Richter:
Falcone ist müde und glücklich. Das geht ihm durch den Kopf, während er in seiner neuen Wohnung am Tisch sitzt. In Rom ist seine persönliche Sicherheit weniger gefährdet als in Palermo, also kann er sich ein Stück Normalität gönnen. In Palermo hatte er jeden Tag das Gefühl, man hätte ihn auf die Straße geworfen, mitsamt den gepackten Koffern und der Aufforderung, so schnell wie möglich auszuziehen. Ein Zuhause hat man im Grunde dort, wo man sich aufgenommen fühlt. Leseprobe
"Falcone": Ein Trauerspiel ohne Happy End
Saviano hat eine Tragödie mit einem Helden geschrieben, der lieber keiner gewesen wäre. Man erlebt Falcone beim Triumph, als die großen Mafiaprozesse der 80er-Jahre zu vielen Verurteilungen führen, aber auch in Momenten tiefer Niedergeschlagenheit, wenn es zu Berufungen und Freisprüchen kommt, wenn er versetzt, bei Beförderungen übergangen wird. Und man spürt, wie er leidet, als er merkt, dass es einsam um ihn wird, die Mafia sich reorganisiert und seine Arbeit mit immer neuen Manövern behindert wird.
Mit seinen Dialogen und Actionszenen wirkt Savianos Roman wie ein Filmskript, aber in diesem Film stirbt am Schluss der Held und das Ende ist traurig. Der Roman "Falcone" ist ein Trauerspiel über einen, der wusste, dass er ein Leben auf Abruf führt, aber von seinem Traum, einem Leben ohne Mafia, nicht lassen wollte.
Falcone
- Seitenzahl:
- 544 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27950-6
- Preis:
- 32 €