Photographs III 1951-2010
Cy Twombly, der am 5. Juli gestorben ist, zählt neben Jackson Pollock, Robert Motherwell und Willem de Kooning zu den wichtigsten Vertretern des amerikanischen Abstrakten Expressionismus. Doch Twombly war auch ein leidenschaftlicher Fotograf. Seine Kamerakunst zeigt jetzt ein Buch, das Silke Lahmann-Lammert vorstellt.
Eine Tulpe, wie sie in jedem Garten, jedem Park blüht: Gibt es ein banaleres Motiv? Als dieses Standardsymbol guter Laune und unverbindlicher Fröhlichkeit? Millionenfach reproduziert auf Tapeten, Badehandtüchern, Trinkbechern, Werbeplakaten und Windmühlen-Postkarten aus Holland.
Aber dann kommt ausgerechnet Cy Twombly - ein Mann, der mit abstrakt-expressionistischen Bildern berühmt geworden ist - und fotografiert die Tulpe so, wie wir sie noch nie gesehen haben.
Metaphern des Schönen
Aufnahmen wie aus einer anderen Zeit: Grobkörnig, fast verschwommen, treten die ovalen Blütenblätter aus dem bräunlichen Hintergrund hervor. Hell, samtig, üppig und weich. Aus nächster Nähe kaum zu erkennen als das, was sie sind. Und trotzdem - oder gerade deshalb - von atemberaubender Schönheit.
Twombly hat sich nie um die Bilder gekümmert, die sich in unsere Köpfe eingeschrieben haben, um die Ikonen der Kosum- und Werbewelt. Er fotografiert die Frühlingsblume wie ein Wissenschaftler, der im Begriff ist, eine neue Spezies aufzuspüren. Und das gilt nicht nur für die Tulpe.
Entdecker mit der Linse
Egal, ob der Künstler einen Sonnenuntergang ablichtet, die Säulen eines griechischen Tempels oder ein leinenes Tuch, das in Falten über einen Tisch fällt: Immer, wenn Twombly durch die Linse seiner Kamera schaut, blickt er wie ein Forscher, der unsere altbekannte Welt neu entdeckt.
Das Ergebnis sind Fotografien, die wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit wirken. Unscharf, in bräunlich-gelben Tönen, wie Aufnahmen aus dem 19. Jahrhundert. Twombly erzielte diesen Effekt, indem er Polaroids vergrößern und im sogenannten Dryprintverfahren auf spezielles Papier drucken ließ.
Ein Faible fürs 19. Jahrhundert
Fotografiert hat der Meister des Abstrakten Expressionismus seit seiner frühesten Jugend. Aber er sollte das Rentenalter erreichen, ehe er diesen Teil seines Werkes Mitte der 90er-Jahre erstmals der Öffentlichkeit präsentierte.
Das Buch beginnt mit einem Foto, das Twombly als 16-Jähriger mit dem Selbstauslöser aufgenommen hat: Verkleidet als Maler alten Stils, mit Strohhut, Sonnenschirm, Klappstuhl und Staffelei. Offenbar hatte Twombly schon damals ein Faible fürs 19. Jahrhundert.
Hubertus von Amelunxen weist in seinem einführenden Text darauf hin, dass es noch mehr Bezüge zu dieser Epoche gibt. Er nennt Twomblys Fotografien "Lichtschriften", die mit ihren flirrenden Helligkeits-Tupfen an die sonnendurchfluteten Bilder französischer Pleinair-Maler erinnern.
Die Lektüre von Amelunxens Aufsatz ist allerdings alles andere als ein Vergnügen. Sein sperriger und schwer verständlicher Essay liest sich wie ein strukturalistisches Traktat aus den 80er-Jahren.
Mit Blick aufs eigene Werk
Twomblys Fotografien aber sprechen für sich selbst. Neben Landschaften und Blumen lichtete der Künstler, der im Alter von 83 Jahren gestorben ist, seine ganz persönliche Welt ab: Die Ateliers, in denen er arbeitete, Pinsel, die nebeneinander an der Wand lehnen, seine über und über mit Farbe bespritzten Schuhe.
Und seine eigenen Bilder - auch sie fotografierte er, als sähe er sie zum ersten Mal. Mit Blick eines Forschers, der einen Schmetterling durch eine Lupe betrachtet und staunend erkennt, wie schön er ist.
Photographs III 1951-2010
- Seitenzahl:
- 180 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Schirmer/Mosel, 180 Seiten, 107 Farbtafeln
- Bestellnummer:
- 978-3829605373
- Preis:
- 58,00 €