Buch-Cover:Kate Zambreno: Mutter. Ein Gemurmel © Penguin Verlag

"Mutter (Ein Gemurmel)": Kate Zambreno über das Wesen der Trauer

Stand: 08.11.2023 06:00 Uhr

Kate Zambreno hat für ihren Roman über ihre verstorbene Mutter 13 Jahre lang gesammelt. Nach ihrem Buch "Heroines" nähert sie sich in "Mutter (Ein Gemurmel)" einer weiteren ihrer Heldinnen.

von Lisa Kreißler

Die 1977 in Illinois geborene Autorin Kate Zambreno ist in Amerika bekannt für ihre klugen Texte über Kunst, Weiblichkeit und das Schreiben. Mit ihrem Buch "Heroines" setzte sie ein Denkmal für Jean Rhys, Zelda Fitzgerald, Vivienne Eliot und Jane Bowles - Schriftstellerinnen, die neben den männlichen Heldenfiguren der Literaturgeschichte missverstanden und ungewürdigt blieben. An ihrem neuen Buch "Mutter (ein Gemurmel)" hat Kate Zambreno 13 Jahre lang gearbeitet. Hier versucht sie, sich einer weiteren Heldin zu nähern: ihrer verstorbenen Mutter. Dorothee Elmiger hat den Text für den Schweizer aki-Verlag ins Deutsche übertragen.

Mutter macht sich Gedanken über der Wesen der Hausfrau 

Zambrenos Mutter starb an Lungenkrebs, als die Tochter Mitte 20 war. Die letzten Lebensmonate waren qualvoll. Ihr Körper sackte in sich zusammen, der Geist rebellierte bis zur Verrücktheit. "Ich war eure Sklavin!", schrie sie einmal. Das bittere Lebensfazit der geliebten Frau und Mutter weist in Kate Zambrenos Text, wie so vieles, gleich in mehrere Richtungen. Ihr Vater beschäftigte sich akribisch mit dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Thema Sklaverei, die Tochter macht sich Gedanken über das Wesen der Hausfrau.

Meine ganze Kindheit über erinnere ich meine Mutter putzend. Louise Bourgeois’ Femme-Maison-Serie. Die gemalten Frauen mit Häusern als Köpfe. Eine Hausfrau von der alten Garde zu sein, hieß, nach dem Gesetz der Auslöschung zu leben. Der ganze Tag war darauf ausgerichtet, so zu tun, als sei nichts passiert, als seien keine Abdrücke hinterlassen worden. Leseprobe

Wer an der Auslöschung arbeitet, hinterlässt keine Geschichte. Aber es gibt Erinnerungen, Fotos und die Gedanken anderer. Neben Roland Barthes, der seiner verstorbenen Mutter hinterherschrieb, um irgendwo in den Notizen "ein Goldkörnchen" zu finden, bezieht Zambrenos Text Form und Wesen auch aus den "Cell"-Skulpturen von Louise Bouregois: häusliche Räume als Gefängniszellen.

Auch der Geschichte des Außenseiter-Künstlers Henry Darger weist die Zambreno eine entscheidende Rolle zu. Darger wurde groß als Waisenkind, er hinterließ ein Manuskript von 15.145 Seiten, das erst nach seinem Tod gefunden wurde - und er liegt auf dem gleichen Friedhof begraben wie die Mutter der Autorin. Zambreno berichtet davon, wie Henry im Jahr 1908 aus dem Waisenhaus flieht und einem Wirbelsturm gegenübersteht, der Häuser und Scheunen wegreißt. Das einsame Kind Henry Darger wird Zeuge einer monumentalen Verwüstung und erzählt dabei etwas über die Mutter. 

Textskulptur aus sorgfältig ausgewählten Bruchstücken

An anderen Stellen verlässt sich Zambreno wieder auf ihre eigenen Erinnerungen: die Mutter, wie sie sich schminkt, die Mutter, überfordert vor dem Therapieraum ihrer Tochter. Und immer wieder: Absätze, leere Seiten. "Mutter (Ein Gemurmel)" ist eine Sammlung kostbarer Sätze, eine Textskulptur aus sorgfältig ausgewählten Bruchstücken. Jedes Stück verfolgt das Ziel, die Mutter einerseits zu zeigen und sie andererseits loszulassen; und im Kern geht es natürlich auch darum, herauszufinden, wer dieses sehnsüchtige "Ich" eigentlich ist.

Ich trockne mir das Gesicht mit Papier, und ihr Abbild erscheint. Leseprobe

Die Mutter war Hausfrau, Jüdin, sie hatte eine "wesenhafte Güte", viele Freunde, sie wurde zornig im Angesicht des Todes und hatte zu Lebzeiten nicht für alles Verständnis. Sie war schon einmal verheiratet, bevor sie mit Kates Vater zusammenkam. Ausgerechnet die ungeliebte Stiefschwester sitzt im Moment des Todes an ihrem Bett. Aber es sind nicht die neubewerteten biografischen Marker, die das Wesen der Mutter spürbar machen, sondern der letzte Eintrag in ihrem Gartenjournal. 

Lungenkrebs diagnostiziert. Das ganze vertraute Leben verloren.
Habe E’s Pflanzen geholt und versuchen sie am Leben zu erhalten.
Früher Schnee. Kann damit leben. Falls im Frühling noch am Leben! –
STAUDENSTÜTZE in TOPF bei HAUSTÜR
Blaue Hortensie! Leseprobe

Kate Zambreno hat für "Mutter (Ein Gemurmel)" 13 Jahre lang gesammelt. Nicht alles fand am Ende in das Buch. Die Sätze aber, die übriggeblieben sind, scheinen auch all jene mitklingen zu lassen, die nicht mehr da sind. Schöner kann man das Wesen der Trauer wohl kaum berühren. 

Mutter (Ein Gemurmel)

von Kate Zambreno
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Roman
Zusatzinfo:
Aus dem Englischen von Dorothee Elmiger
Verlag:
aki
Bestellnummer:
978-3-311-35012-5
Preis:
26 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 08.11.2023 | 12:40 Uhr

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