Monika Helfers "Die Jungfrau": Betörende Frauenfreundschaft
Der Grundton des neuen Romans von Monika Helfer ist märchenhaft und doch ganz real, magisch und im Einzelnen doch sehr handfest, mit kleinen Tupfern ein großes Gemälde malend.
Schon immer hat Monika Helfer eher kurze Romane geschrieben - 150, wenn es hochkam, maximal 200 Seiten. Früher lag es daran, dass nicht mehr Zeit war, die vier Kinder mussten ja versorgt werden. Dieser Grund ist natürlich längst weggefallen, aber es bleibt dabei: In der Kürze, der Lakonie, im leicht Angedeuteten fühlt Monika Helfer sich am wohlsten. Das Seltsame ist nur: An einem kurzen Buch von ihr liest man länger als an jedem Tausend-Seiten-Wälzer. Ganz langsam nur wandert man durch die Sätze, weil sie so kostbar sind, und singt mit.
Eine Freundschaft, die das Gleichgewicht sucht
"Meine schöne Gloria", sagte ich, und ich schwöre, ich wollte es nicht, es kam einfach aus meinem Mund heraus, ich sang: "… wo bist du geblieben …" Vielleicht, weil wir, als wir Teenager waren, alle Schlager auswendig konnten und glücklich waren, wenn wir hinunter zum See rannten und einen Schlager nach dem anderen sangen, nicht zweistimmig, das konnten wir nicht, aber so genau gleich sangen wir, dass einer hätte denken können, es singt nur ein Mädchen. Darauf waren wir stolz. Auf diesen Einklang. Er war der Beweis unserer Freundschaft.
Und prompt fing sie an zu singen. (…) Ich stimmte ein.
Monika Helfer erzählt hier von einer Freundin, die sie nie ganz verstanden, aber meistens geliebt und bewundert, auch beneidet und hin und wieder mal kurz verachtet hat: Gloria, die vaterlos, aber unglaublich vermögend mit ihrer sich zu Tode verfettenden Mutter in einem riesigen Haus in Bregenz aufwächst, einem Monster von einem Haus. Was für ein Kontrast zur Beengtheit, in der Monika, nur ein paar Straßenzüge weiter, groß wird; wir lasen davon schon in ihrer autobiografischen Familien-Trilogie. Nachdem im vergangenen Jahr der letzte Band - "Löwenherz" - erschienen war, sagte Monika Helfer noch, sie wolle nun mit etwas ganz anderem weitermachen: "Ich habe nach den drei Büchern das Gefühl, ich habe jetzt den Schmäh heraus und weiß, wie es geht. Dann ist es Routine und kann nicht gut werden. Wenn es für mich keine Überraschung ist zu schreiben - dann ist es nicht gut."
Nur: Wie schade wäre es gewesen, wenn diese Geschichte unerzählt geblieben wäre: die Geschichte Glorias, die im Alter Monika gesteht, dass sie nie mit einem Mann geschlafen hat, obwohl sie immer von den Männern begehrt worden ist; die Geschichte einer Heranwachsenden, einer jungen, einer mittelalten Frau, die durch Anmut und gelinde Dramatik im Auftritt beeindruckt, der sich ihre Freundin Monika aber nie unterlegen fühlt, auch deshalb nicht, weil sie sich zumindest im Verborgenen fragen darf, ob sie nicht doch die Schönere ist. Eine Freundschaft, die das Gleichgewicht sucht und meist auch findet.
Monika Helfers Diskussionen mit Michael Köhlmeier
Klar, den Schmäh hat die Autorin raus, und er bildet auch hier wieder den Grundton des Erzählens, an dem man sich eh nie satthört: märchenhaft und doch ganz real, magisch und im Einzelnen doch sehr handfest, mit kleinen Tupfern ein großes Gemälde malend; eingeschoben immer wieder Reflexionen über das Erzählen selbst und Diskussionen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, über das Geschriebene.
Auch dieses Kapitel gebe ich Michael zu lesen. Er ist eifersüchtig und sagt es auch. Es lese sich so, als sehne ich mich manchmal zu meinem ersten Mann zurück. Ich sage, Menschenskind, Michael, das ist fünfzig Jahre her.
"Du schwärmst", sagt er.
"Was, wie, wo schwärme ich?"
"Wie er aussieht. Kantige Linien, heftige Augen."
"Ich könnte auch von dir schwärmen."
"Tust du aber nicht."
"Soll ich ein Kapitel schreiben, in dem ich nur von dir schwärme?"
"Bitte, ja", sagt er.
"Ich tu's!"
"Bitte, nein", sagt er.
"Nein? Wirklich nein?"
"Ein bisschen vielleicht."
Vielleicht - hofft der Leser nach beglückend langem und doch zu kurzem Lesen in diesem kleinen Buch -, vielleicht wünscht sich Michael Köhlmeier von Monika Helfer das nächste Mal einen richtig dicken Roman.
Die Jungfrau
- Seitenzahl:
- 152 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27789-2
- Preis:
- 22 €