Jana Scheerers Roman "Die Rassistin": Shitstorm an der Uni
Ein kurzer Moment, in dem man nicht genau darauf achtet, was man sagt - und plötzlich wird daraus eine große Sache. Wie absurd das werden kann, darum geht es im Roman "Die Rassistin" von Jana Scheerer.
Eine fiktive Uni in Berlin. Im Germanistikseminar halten zwei Studierende chinesischer Herkunft einen Vortrag. Sie sprechen nicht so gut Deutsch. Ein dummer Spruch aus dem Plenum, das Deutsch sei zu schlecht. Dozentin Nora Rischer reagiert und empfiehlt: einen Deutschkurs. Ist das schon Rassismus? Ja, sagen ganz schnell Kolleginnen und Kollegen, Studierende, Medien.
Rischer greift schnell ihr Telefon, googelt noch mal (…) immer noch null Treffer. Für "Rassistischer Vorfall" und "Uni Berlin" vermehren sich die Treffer allerdings rasant (…). Zahlreiche Studierende drücken ihr Unbehagen und ihre Empörung aus. Das Hashtag #UniBerlinIckkotze scheint zu trenden. Leseprobe
E-Mails werden hin und her geschickt. Es wird sich entschuldigt, es wird diskutiert. Es ist eine Lawine, die da über die Dozentin rollt. Die Sache ist aber nicht so einfach, sagt Autorin Jana Scheerer: "Recht hat keiner. Das war mein größtes Anliegen, dass es zum Schluss so dargestellt ist, dass keiner recht hat."
Die zerfaserte Diskussionskultur an Hochschulen
Der ein oder andere wird anmaßend, andere unsachlich. Jana Scheerer, die selbst lange im Hochschulbetrieb gearbeitet hat, nimmt einen mit in die kleinteiligen öffentlichen Diskussionen und die Hinterzimmer des Akademischen. Wie an Universitäten kommuniziert wird, das ist Pfund und Problem zugleich findet sie: "Die Uni ist eine Welt für sich. Wir haben an der Uni eher den Luxus und die Zeit, die Sachen auszudiskutieren. Weil die Institution immer noch die Räume bietet, die woanders womöglich gar nicht sind. Deswegen gibt es dann diese Clash-Situation, wo die Uni so elfenbeinturmmäßig ihre Logik durchzieht."
In der Realität war das gerade sehr anschaulich bei den Diskussionen um die Hochschulpräsidentinnen vor dem US-Kongress zu sehen. Weltfremd und kaltherzig wirkten die Statements der Leitungen von Harvard und Co. Das illustriert die zerfaserte Diskussionskultur an Hochschulen, die Jana Scheerer in "Die Rassistin" sehr geschickt wiedergibt. Die Handlung wird oft von Einschüben unterbrochen, von Figuren, die anscheinend auch unbedingt zu Wort kommen wollen. So wie Nora Rischers Chef:
"Ha ja, das ist eine ganz arge Sache mit diesem Vorwurf. Ganz arg. Da muss ich als Geschäftsführender Direktor hier in der Germanistik jetzt einen Umgang damit finden. Proaktiv. Am besten proaktiv." Leseprobe
Und anstatt dass die Handlung dann weitergeht, schiebt die Studierende, "die während jeder Sitzung drei Flaschen Mineralwasser trinkt", ein:
Also, mir taten die Studierenden aus China einfach leid. Leseprobe
Maß halten und echte Argumente vorbringen
Es liest sich mitunter wie eine Collage. Das ist mal witzig, mal nicht. Über Humor lässt sich schlecht streiten. Besser diskutieren kann man über den Komplex "Universität". Jana Scheerer wünscht sich, dass Hochschulen ihre historische Diskussionskultur weiterführen, auch wenn das im Social-Media-Zeitalter vielen zu komplex sein könnte. Aber: "Jetzt muss man aufpassen, dass nicht aus einem freien Diskurs ein zu krasser wird. Diese Freiheit funktioniert natürlich nur, wenn alle ganz explizite Diskursregeln einhalten."
Genau das, was in "Die Rassistin" nicht klappt, sollte an der Uni, und warum nicht auch gesamtgesellschaftlich, besonders geachtet werden: Maß halten; echte Argumente vorbringen. Ansonsten bleibt nur das, was Dozentin Nora Rischer durchmacht: ein Riesenchaos.
Die Rassistin
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Schöffling & Co.
- Bestellnummer:
- 978-3-89561-353-1
- Preis:
- 22 €